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Orang-Utan-Genom entziffert: Neue Einblicke in die Evolution der Primaten

Ein internationales Konsortium hat die kompletten Genome von elf Orang-Utans sequenziert, Carolin Kosiol von der Vetmeduni Vienna hat an der Studie mitgearbeitet. Sie fand Hinweise darauf, dass sich in der Evolution von Primaten besonders Gene verändert haben, die am Sehen beteiligt sind, aber auch solche, die den Fettstoffwechsel beeinflussen. Letzterer spielt bei Menschen bei Krankheiten des Nervensystems eine wichtige Rolle. Der Artikel erscheint in der Zeitschrift Nature in der Ausgabe vom 27. Jänner 2011.

Eine große internationale Arbeitsgemeinschaft hat die vollständige Sequenz des Genoms eines weiblichen Sumatra-Orang-Utans in der britischen Wissenschaftszeitschrift Nature veröffentlicht. Unter den 30 Arbeitsgruppen aus neun Ländern hat auch Carolin Kosiol vom Institut für Populationsgenetik der Vetmeduni Vienna an den  Analysen mitgewirkt. Aus ihrem Beitrag ergeben sich neue Perspektiven auf die Evolution der Menschenaffen und des Menschen.

Hinweise auf genetische Besonderheiten bei Affen und Menschen

Vergleicht man die neue Genomsequenz des Orang-Utans mit dem menschlichen Genom und mit dem anderer Säugetiere, so eröffnen sich einzigartige Einblicke in die Evolution von Primaten. Kosiol untersuchte an die 14.000 menschliche Gene, die auch bei Orang-Utans, Schimpansen, Makaken und bei Hunden vorkommen. Sie fand heraus, dass Gene, die mit dem Sehsinn und mit dem Stoffwechsel von bestimmten Fetten, so genannten Glycolipiden, in Verbindung stehen, besonders stark der evolutionären Selektion ausgesetzt waren. Störungen des Glycolipid-Stoffwechsels werden heute beim Menschen mit einer Reihe von Erkrankungen des Nervensystems in Verbindung gebracht. „Veränderungen im Fettstoffwechsel könnten bei Primaten durchaus einen großen Einfluss auf die Evolution des Nervensystems gehabt haben, genauso wie auf die Anpassung an sich ändernde Nahrungsquellen oder auf Veränderungen im Lebenszyklus“, erklärt Kosiol.

Orang-Utans am Nächsten zu gemeinsamem Vorfahren

Die Analysen des internationalen Teams zeigten, dass das Genom von Orang-Utans erstaunlich stabil ist. Im Laufe der Evolution scheint es viel weniger Fälle von so genannten Genome Rearrangements und Genduplikationen gegeben zu haben als bei Schimpansen oder beim Menschen. Damit stehen Orang-Utans einem vermuteten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen genetisch am nächsten.

Zwei verschiedene Orang-Utan-Arten

Neben der klassischen Genomsequenzierung verwendete das internationale Forschungsteam für seine Analysen neuartige, so genannte Next-Generation-Sequencing-Techniken, die besonders effizient und kostengünstig sind. Für die Studie wurden die Genome von  zehn zusätzlichen Tieren re-sequenziert,  fünf von Sumatra und fünf von Borneo. Auf jeder der beiden Inseln lebt eine eigene Orang-Art. Die Untersuchungen legen nahe, dass sich die beiden Arten viel später getrennt haben als bisher vermutet, nämlich erst vor 400.000 Jahren. Überraschenderweise unterscheiden sich die Tiere auf Sumatra untereinander genetisch stärker als die auf Borneo, obwohl heute auf Sumatra eine viel kleinere Population lebt. Mit noch lebenden 7.500 Tieren gilt  der Bestand des Sumatra-Orang-Utans heute als akut bedroht. Kosiol dazu: „Die größere Diversität bei Sumatra-Orang-Utans im Vergleich zur Orang-Utan-Art auf Borneo könnte sich als sehr wichtig für Maßnahmen zur Arterhaltung erweisen. Wir müssen tun, was wir können, um die genetische Vielfalt beider Arten zu erhalten.“

Der Artikel Comparative and demographic analysis of orang-utan genomes von Devin P. Locke und Mitautoren erscheint in der Zeitschrift Nature in der Ausgabe vom 27. Jänner 2011.