Springe zum Hauptinhalt

Universität

Wildtiere im Großstadtdschungel

Aus VETMED 02/2018 – Die Stadt als Lebensraum für Wildtiere? Das erscheint vielen Menschen auf den ersten Blick nicht ganz schlüssig. So wenige Grünflächen, umgeben von so viel Beton. Sieht man jedoch etwas genauer hin und übt sich in Geduld, gelingen auch im urbanen Dschungel schöne Beobachtungen.

Städte sind ein Mosaik aus verschiedensten Strukturen, die eng miteinander verwoben sind. Zudem ist die Nahrungsverfügbarkeit im urbanen Raum für Wildtiere das ganze Jahr über gut. „In der Nähe der Menschen gibt es immer etwas zu holen, Essensreste, Fallobst oder Komposthaufen bieten eine gute Nahrungsgrundlage. Für viele Wildtiere ist vermutlich der größte ‚Feind‘ in der Stadt das Auto“, sagt Forscherin Theresa Walter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie. „Zusätzlich profitieren die Tiere von den klimatischen Bedingungen im urbanen Raum.“ Gegenüber dem Umland wird in der Stadt vermehrt Wärme zwischen den Gebäuden und in der Bausubstanz gespeichert. Extreme Winter werden so gemildert und bedeuten einen geringeren Energieaufwand für die Wildtiere.
Die tierischen Stadtbewohner sind vielfältig. „In Wien findet man zum Beispiel Feldhamster am Zentralfriedhof oder Turmfalkenbrutpaare, die offene Dachbodenluken an Gebäuden in der Stadt als Aufzuchtsorte für ihre Jungen wählen“, erklärt Richard Zink von der Österreichischen Vogelwarte. „Der städtische Sommer wird von den Rufen der Mauersegler begleitet, die schon seit dem Mittelalter Felsnischen gegen Häuserschluchten als Wohnraum getauscht haben.“ In der Nacht begegnet man Dachsen und Füchsen, die auch mitten in der Innenstadt angetroffen werden können.

Projekt StadtWildTiere

Wie viele Wildtiere in Wien leben, weiß allerdings niemand so genau. Denn der Lebensraum Stadt ist nicht das einfachste Pflaster für die Wildtierforschung. Anzahl und Verbreitung von Tieren flächendeckend zu erheben gestaltet sich auf Grund der Größe von Städten oft als zu personal- und kostenintensiv. Wien hat beispielsweise immerhin eine Fläche von 414 km². „Zudem sind viele Flächen, wie etwa Kleingärten oder Industriegebiete, in Privatbesitz und für WissenschafterInnen nicht oder nur schwer zugänglich“, so Zink. Ein Lösungsansatz findet sich in „Citizen Science“-Projekten – wissenschaftlichen Projekten, die mit Hilfe der Bevölkerung durchgeführt werden, so Zink: „Gerade in der Stadt sehen viele Menschen mehr als einige wenige. Im Rahmen des Projekts ‚StadtWildTiere‘ wird genau dieser Forschungsansatz verfolgt.“
Mit Hilfe der Plattform www.stadtwildtiere.at werden Sichtungen von Wildtieren gesammelt. Durch die Plattform kommen die WissenschafterInnen zu einer beachtlichen Datengrundlage und die Bevölkerung kann dazu beitragen, mehr über die Verbreitung von Wildtieren in der Stadt herauszufinden. Denn jede einzelne Beobachtung unterstützt dieses Projekt! Auch für die einzelnen MelderInnen ergeben sich Vorteile: Zum einen ist ersichtlich, welche Wildtiere um den Arbeits- bzw. Wohnort beobachtet werden können. Zusätzlich werden Informationen zur Biologie der verschiedenen Arten und Beobachtungstipps zur Verfügung gestellt.

Die Städter unter den Wildtieren

In verschiedenen Schwerpunkten widmet sich das Projekt unterschiedlichen Arten. Derzeit werden in Kooperation mit der Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) Brutplätze von Mauerseglern erhoben. Die unermüdlichen Flieger benötigen zur erfolgreichen Jungenaufzucht Gebäudenischen. Diese verschwinden allerdings allzu oft im Rahmen von Gebäudesanierungen. Die Erhebung der Brutplätze von Mauerseglern in Wien ist wesentlich, um die Brutplätze der streng geschützten Tiere erhalten und das Brutplatzangebot durch geeignete Maßnahmen verbessern zu können.
Eine weitere Schwerpunktart war der Fuchs. „In den 1930er-Jahren wurden im durch Grünräume geprägten Vorstadtgebiet von London die ersten ‚Stadtfüchse‘ beobachtet“, berichtet Theresa Walter. „Heute geht man davon aus, dass in jeder Stadt Füchse in mehr oder weniger hohen Dichten vorkommen. Der Fuchs ist ein Allesfresser und so kann er zum Beispiel im Garten beim Naschen von reifen Früchten angetroffen werden.“ Die Stadtfüchse sind dabei nicht nur in der Nacht unterwegs, sondern auch untertags. Denn längst haben die schlauen Tiere bemerkt, dass ihnen in der Stadt vom Menschen kaum Gefahr droht.

Drei Jahre: Erste Ergebnisse und Empfehlungen

Seit Mai 2015 wurden über 7.700 Beobachtungen von Wildtieren auf der Internetplattform gemeldet. „Jede eingehende Meldung wird geprüft“, sagt Richard Zink. „Mit dieser Fülle an Meldungen können, je nach Tierart, schon erste Trends und Aussagen getroffen werden. Die am häufigsten gemeldete Art ist der Fuchs, der schon in jedem Wiener Bezirk beobachtet wurde.“ Entgegen der landläufigen Meinung, dass die Tiere sich in die Stadt verlaufen, ist es so, dass die Füchse ganzjährig in der Stadt leben. Nur selten wird hingegen der wohl typischste wilde Stadtbewohner gemeldet: die Wanderratte. Sie ist anscheinend für viele menschliche StadtbewohnerInnen mehr Plage als eine erfreuliche Sichtung.
Die Stadt ist Lebensraum für Mensch und Wildtier. Die wichtigste und wohl am häufigsten geäußerte Empfehlung aus dem Projekt ist: „Bitte füttern Sie Wildtiere nicht“, so Theresa Walter. „Die Tiere kommen in der Stadt sehr gut zurecht, sie wissen genau, wo sie Fressbares finden können.“ Dazu gehört auch, dass Futter für Haustiere nur im Haus und nicht auf der Terrasse angeboten wird. Die Wildtiere verlieren durch Fütterung ihre Scheu vor den Menschen. Die Angst, besonders zutrauliche Füchse könnten an Tollwut leiden, ist übrigens seit einigen Jahren unbegründet. Österreich gilt laut der Weltgesundheitsorganisation WHO seit 2008 als tollwutfrei.

Jetzt mitmachen!

Mitforschen und Wildtierbeobachtungen melden auf www.stadtwildtiere.at
Kontakt: Richard Zink, Österreichische Vogelwarte – Zentrum für Ausbildung und Öffentlichkeitsarbeit Seebarn, info@stadtwildtiere.at