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Universität

Was geschah mit diesen Tieren?

Wo hat sich der Hamster mit dem Virus infiziert? Hätte eine frühere Diagnose den Hund retten können? Von wem wurde das Wildtier getötet und gibt es DNA-Spuren des Täters? In Seziersaal und Labor blickte das VETMED den VeterinärpathologInnen bei der Arbeit über die Schulter, um herauszufinden, welche Rätsel sich hinter den Erkrankungen von Tieren verbergen.

Fall I: Human- und Veterinärmedizin Hand in Hand

Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde ein Kaninchen, das vor seinem Tod starke Verhaltensänderungen gezeigt hatte, zur Untersuchung ans Institut für Pathologie gebracht. „Das Tier wurde als Heimtier bei einer Familie gehalten und verhielt sich von einem Tag auf den nächsten eigenartig“, erinnert sich Institutsleiter Herbert Weissenböck. „Kreisbewegungen, Purzelbäume aus dem Stand und Krämpfe wiesen auf starke neurologische Ausfälle hin.“

Nicht wie im Lehrbuch

Obwohl seitens der VeterinärmedizinerInnen der Verdacht bestand, dass es sich um eine Encephalitozoonose handelt – eine durch Einzeller verursachte Erkrankung von Niere und Gehirn, die bei Kaninchen häufiger auftritt –, konnte kein endgültiger Nachweis erbracht werden. Allerdings stellten die VeterinärpathologInnen eine Gehirnentzündung mit zahlreichen Kerneinschlusskörperchen in Nervenzellen fest, wie sie bei Infektionen mit Herpesviren vorkommen. „Das Problem jedoch war: Eine solche Virusinfektion schien in keinem der Lehrbücher als Erkrankung beim Kaninchen auf “, so Weissenböck. Bei seinen Nachforschungen stieß der Veterinärpathologe auf eine Arbeit, bei der im Rahmen von experimentellen Untersuchungen das humane Herpesvirus auf Kaninchen übertragen worden war. Aber war dies auch auf natürlichem Weg möglich? Nachfragen bei der Familie des betroffenen Tiers ergaben, dass die Tochter eine Fieberblase gehabt hatte – kurz bevor das Kaninchen begann, sich seltsam zu verhalten.

Übertragungsweg

In Rücksprache mit dem Klinischen Institut für Neurologie der Medizinischen Universität Wien ließen wir die Proben dahingehend prüfen“, erinnert sich Weissenböck. Die Ergebnisse waren eindeutig: Das Probenmaterial wies das humane Herpesvirus auf. „Im Laufe der folgenden Jahre meldeten sich VeterinärpathologInnen bei uns, die ähnliche Fälle vorliegen hatten. Auch andere Nagetiere oder Chinchillas hatten sich beim Kuscheln mit dem Menschen mit den für sie tödlichen Viren infiziert.“ Das dahintersteckende Phänomen erklären die VeterinärpathologInnen folgendermaßen: Viren, die im sogenannten „natürlichen Wirt“ relativ ungefährlich sind und etwa lediglich eine Fieberblase hervorrufen, können in einem anderen Organismus, einem sogenannten „Fehlwirt“, verheerenden Schaden anrichten.

 

Fall II: Bisonsterben in Rumänien

Am Anfang stand ein etwa schuhkartongroßes Paket, das ans Institut für Pathologie geschickt wurde. In ihm Proben von Leber, Niere und Augen verstorbener Bisons. „Dahinter verbarg sich eine internationale Herde von fünf- bis sechshundert Tieren in Rumänien“, erinnert sich René Brunthaler, der den Fall seitens des Instituts übernahm. Die Beschreibung zu den Proben lautete: „Massive Ausfälle in der Herde im Gegensatz zu einer normalen Quote von ein bis zwei Prozent; Tiere, die an Tag 1 erkrankt waren, waren an Tag 2 bereits verstorben.“ Im betroffenen Betrieb wusste niemand, um welche Erkrankung es sich handelte und was sie ausgelöst hatte.

„Speziell bei Fällen wie diesem, bei dem der ganze Bestand eines landwirtschaftlichen Betriebs und damit auch die Wirtschaftlichkeit betroffen ist, gilt es, schnell zu agieren und herauszufinden, ob es sich etwa um eine ansteckende Tierseuche oder giftige Substanzen im direkten Umfeld der Tiere handelt“, erklärt Brunthaler. Der Veterinärpathologe und seine KollegInnen machten sich an die histologische Untersuchung der Proben und fanden Hinweise auf eine Viruserkrankung, welche als BKF – Bösartiges Katarrhalfieber, eine akute, zumeist tödlich verlaufende Viruserkrankung der Wiederkäuer – bekannt ist. Durch eine sogenannte PCR-Methode konnte dies bestätigt werden. Unklar war jedoch, wie sich die Bisons mit dieser für sie untypischen Erkrankung infiziert hatten

Untersuchungen im Feld

Die VeterinärpathologInnen entschieden, nach Rumänien zu fahren, um weitere Organe, insbesondere das Gehirn, beziehungsweise einen ganzen Tierkörper zu untersuchen, denn der Betrieb hatte zurückgemeldet, dass die Erkrankungen weiterhin auftraten. „Vor Ort sezierten wir unter, sagen wir, ‚abenteuerlichen‘ Bedingungen gemeinsam mit den ansässigen TierärztInnen zwei weitere verstorbene Bisons und stellten auch in weiteren Organen typische Veränderungen für BKF fest“, sagt Brunthaler. In einer Publikation fand Brunthaler, dass Bisons bis zu 10.000 Mal höher empfindlich auf das Virus reagieren als Hausrinder. „Die Frage war für uns nun ‚Woher kommt das Virus?‘ und ‚Wie wurde es in die Herde übertragen?‘“ Da die krankheitsauslösenden Viren auch in Schafherden vorkommen und bei Weideflächen betroffener Bisons in unmittelbarer Nähe Schafherden untergebracht waren, lag die Vermutung der VeterinärmedizinerInnen nahe, dass sich die Tiere hier angesteckt hatten: „Den viel kleineren Wiederkäuern macht die Infektion nicht sonderlich zu schaffen“, sagt Brunthaler. „Sie scheiden den Erreger über Augen- und Nasensekret, aber auch im Rahmen der Trächtigkeit und Geburt aus. Vor Ort sahen wir: Die Umzäunung war auf die Größe der Bisons zugeschnitten. So blieben diese zwar drin, die benachbarten Schafe konnten jedoch darunter hindurchlaufen. So mussten also der Kontakt und die Infektion zustande gekommen sein.“

 

Fall III: Blinder Passagier: Der Fuchsbandwurm

Am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) übernimmt ein eigenes Labor die Untersuchung und Sektion von Wild- und Zootieren. „Die Aufgaben der Wildtierpathologie sind nur teilweise mit denen der Heim- und Nutztierpathologie übereinstimmend“, erklärt Anna Kübber-Heiss, Leiterin des Pathologischen Labors. Das Hauptaugenmerk liege, so die Assistenzprofessorin, nicht auf der Feststellung der Todesursache des Einzeltiers, sondern darauf, Krankheiten, die in den Wildtieren vorkommen und möglicherweise auf Heim- und Nutztiere oder den Menschen übergreifen können, zu beschreiben und zu beobachten. Eines der Monitoringprojekte des Labors beschäftigt sich mit dem Vorkommen und der Verbreitung des Fuchsbandwurms. Dieser nur drei Millimeter große Parasit kann zu einer der gefährlichsten Wurmerkrankungen (Helminthosen) des Menschen führen, der sogenannten alveolären Echinokokkose. „Füchse, aber auch andere Canidae wie Wolf, Schakal oder Hund sind Endwirte für diesen Bandwurm und zeigen bei einem Wurmbefall so gut wie keine Krankheitserscheinungen“, so Kübber-Heiss. „Als Zwischenwirte fungieren kleine Nager wie etwa Mäuse, der Mensch ist im Kreislauf ein sogenannter Fehlzwischenwirt.“ Infektionen können durch mit Fuchskot behaftete Wald- oder Gartenfrüchte, aber auch über im Hundefell „heimgebrachte“ Eier erfolgen.

Der Mensch als Fehlzwischenwirt

Alle Füchse, die zur postmortalen Untersuchung ans FIWI gelangen, werden auf den Fuchsbandwurm geprüft. „Zum Schutz der Untersuchenden wird die Sektion unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen mit einem Mundschutz durchgeführt“, erklärt Kübber-Heiss. „Zusätzlich wird der Darmtrakt ungeöffnet für mehrere Tage bei minus 80 Grad Celsius eingefroren, die Aufarbeitung erfolgt nach der sogenannten ‚Schüttelbechermethode‘, eine modifizierte Sedimentationsmethode, auch SVT-Methode genannt.“ Ein Langzeit-vergleich dieser Analysen zeigt, dass sich in den letzten zehn Jahren das Vorkommen des Fuchsbandwurms um das Dreifache gesteigert hat. Der Parasit kommt inzwischen in allen Teilen Niederösterreichs sowie in Wien vor. Auch die meldepflichtige Erkrankung des Menschen hat zugenommen. „In Zusammenarbeit mit HumanmedizinerInnen können wir Risikogebiete identifizieren und durch gezielte Vorsorgeuntersuchungen und Aufklärung hoffentlich das Ansteigen zukünftiger Erkrankungsfälle reduzieren“, so Kübber-Heiss.

 

Fall IV: Herdengesundheit für Legehennen

„Beim Nutzgeflügel ist die pathologische Untersuchung von Einzeltieren ein wichtiger Teil der Herdendiagnostik“, erklärt Beatrice Grafl, Geflügel-medizinerin in der Universitätsklinik für Geflügel und Fische. „Gemeinsam mit gezielten weiterführenden Untersuchungen ist die pathologische Betrachtung maßgebend für eine ätiologisch, also die Entstehung der Krankheit betreffende, gesicherte Diagnose und dadurch ausschlaggebend für die Auswahl konkreter Behandlungs- und Prophylaxemaßnahmen, zur Wiederherstellung beziehungsweise zur Erhaltung der Tiergesundheit.“ In der Geflügelpathologie der Vetmeduni Vienna werden pro Jahr über 600 Fälle, stellvertretend für mehr als 2.000 Tiere, untersucht.

Geflügelpocken – wieder ein akutes Problem

Durch verbesserte Hygienebedingungen und den prophylaktischen Einsatz von Lebendimpfstoffen sind Geflügel-pocken selten geworden. „Über Jahre waren nur noch ein bis zwei Fälle pro Jahr zu beobachten, meistens in Hobbyhaltungen“, sagt Grafl. Die Situation in Österreich änderte sich plötzlich im Herbst 2018: „Die vorberichtlichen Angaben der betroffenen Legehennenherden waren zwar oft recht unspezifisch – mit erhöhten Abgängen und Leistungsdepression, sprich weniger Eiern –, aber bei der Sektion wurden deutliche Hautveränderungen am Kamm, den Kehllappen und/oder den Augenlidern festgestellt“, so Grafl. Im Zusammenspiel von klassischer Pathohistologie mit modernen molekulardiagnostischen Verfahren zum direkten Nachweis der Virus-DNA konnte in den meisten Fällen die Verdachtsdiagnose „Geflügelpocken“ bestätigt werden. In den infizierten Epithelzellen finden sich dabei massenhaft charakteristische, sogenannte „Bollinger‘sche Einschlusskörperchen“. Derzeit sind mehr als 50 Legehennenherden betroffen, auch erste Fälle in Puten konnten laut der Geflügel-medizinerin nachgewiesen werden: „Aktuelle Untersuchungen zielen nun darauf ab, für die Rückkehr der Erkrankung und die Vielzahl der aktuellen Fälle eine Ursache zu finden, um in weiterer Folge Interventionsstrategien zu entwickeln.“

 

Institut für Pathologie und Veterinärpathologisches Museum

Das Institut für Pathologie setzt sich aus den Bereichen Veterinärpathologie (37 MitarbeiterInnen), der Abteilung für Labortierpathologie (fünf MitarbeiterInnen) und der Arbeitsgruppe Histologie und Embryologie (14 MitarbeiterInnen) zusammen. Das Forschungsgebiet beinhaltet die Pathomorphologie der Tierkrankheiten unter Anwendung der Methoden der Histologie, die Zytologie, die Immunhistochemie und die Elektronenmikroskopie.

Wissenschaft für die Lebenden

Pathologie (Pathos = griech. Leiden) betrachtet abnormale oder krankhafte Vorgänge und Zustände von Lebewesen sowie deren Ursachen. Erste Bemühungen zur Gründung eines Veterinärpathologischen Instituts erfolgten im Jahr 1849. Eine Lehrkanzel für Allgemeine Pathologie, Pathologische Anatomie sowie Gerichtliche Tierheilkunde entstand im Jahr 1909. Sektionen wurden ursprünglich im Freien auf dem früheren Grundstück der Universität im dritten Wiener Gemeindebezirk durchgeführt. Die Universität verfügt über eine der größten Sammlungen veterinärpathologischer Präparate der Welt mit über 4.500 Schaustücken.

Homepage des Veterinärpathologischen Museums in Wien: www.vetmeduni.ac.at/de/pathologie/ueber-uns/museum

 

Text: Stephanie Scholz

 

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