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Universität

Forschungsstall statt Klassenzimmer

Aus VETMED 01/2020 – Dank der niederösterreichischen Initiative „Science goes School“ war es einer Oberstufenklasse des Bundesgymnasiums Groß-Enzersdorf möglich, einen Tag auf der VetFarm, dem universitätseigenen landwirtschaftlichen Betrieb mit Fokus Forschung und Lehre, zu verbringen. Bei den Workshops schnupperten die SchülerInnen nicht nur Stallluft, sondern knüpften Kontakte zu WissenschafterInnen der Veterinärmedizinischen Universität Wien und lernten, dass die Digitalisierung längst im Kuh- und Schweinestall angekommen ist.

Kuh oder Schwein – das war die Frage, mit der sich die 20 SchülerInnen der siebten Klasse Gymnasium auseinandersetzen mussten, bevor sie im Rahmen ihres Biologie- und Chemieunterrichts ihre Reise zur VetFarm (Kremesberg/Gemeinde Pottenstein) antraten. Für viele war es der erste Besuch in einem Stall, dementsprechend groß war die Neugierde.

SchülerInnen als kritische KonsumentInnen

Für Susanne Urwaleck, die begleitende Lehrerin, stand von Anfang an fest, dass sie den Tag an der VetFarm im Schweinestall verbringen will. „Als ich die Workshops im Science-goes-School-Programm gesehen habe, war ich sofort begeistert. Über die landwirtschaftliche Tierhaltung wissen wir alle viel zu wenig. Es ist Aufgabe der Schule, unsere SchülerInnen zu verantwortungsvollen KonsumentInnen heranzuziehen.

Das können sie aber nur werden, wenn sie verstehen, wie unsere Lebensmittel produziert werden. Je besser sie informiert sind und Zusammenhänge verstehen, desto bewusster können sie Entscheidungen treffen“, erklärt die passionierte Chemielehrerin, der nicht nur praktischer und abwechslungsreicher Unterricht, sondern auch gelebte Nachhaltigkeit ein großes Anliegen ist. Da Schule eine wichtige Vorbildfunktion hat, reiste die Klasse klimafreundlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Für die letzten Kilometer zwischen dem Bahnhof Bad Vöslau und der VetFarm kam das regionale Sammeltaxi zum Einsatz.

Im Schweinestall: Hygiene und Forschung

Dass die Tiergesundheit schon außerhalb des Stalls beginnt, war für die SchülerInnen eine der großen Überraschungen – Stichwort Biosicherheit. Duschkabinen kennen zwar alle vom Sportunterricht, ihr Kontext zur Tiergesundheit und Stallhygiene war für die meisten dann doch neu. Um keine Infektionskrankheiten in den Tierbestand einzuschleppen, wird der Schweinebetrieb der VetFarm als sogenannter Schwarz-Weiß-Betrieb geführt. Eine Hygieneschleuse trennt dabei den unreinen (= schwarzen) vom reinen (= weißen) Bereich.

Nach dem erfolgreichen Einduschen und Einkleiden in die betriebseigene Arbeitskleidung führte Tierärztin Doris Verhovsek, Spezialistin für Schweinemedizin, durch die verschiedenen Stallbereiche und erklärte sowohl den grundsätzlichen Produktionszyklus als auch die Herausforderungen für die Tiergesundheit. Die SchülerInnen lernten dabei den Wartestall, die offenen Abferkelbuchten und die Ferkelaufzucht kennen. Dann standen der Forschungsstall sowie das praktische Arbeiten im Dienste der Wissenschaft am Programm.

Videos und Sensoren liefern Infos Tag und Nacht

Im Forschungsstall lernten die SchülerInnen auf sehr anschauliche Weise, wie neue Technologien der Tiergesundheit und dem Tierwohl dienen. Die Digitalisierung in der Nutztierhaltung wird allgemein unter dem Begriff Precision Livestock Farming (PLF) zusammengefasst. ForscherInnen der Vetmeduni Vienna bearbeiten in mehreren Projekten dieses noch junge Feld in der Tiermedizin. Kristina Maschat, Mitarbeiterin am Institut für Tierhaltung und Tierschutzwissenschaften, zeigte den SchülerInnen, wie Beschleunigungssensoren, Einzeltiererkennung (mittels RFID-Identifikation) und Videoaufnahmen das Verhalten der Schweine dokumentieren.

Mittels spezieller Software und Algorithmen können die Daten automatisiert analysiert werden und liefern eine wichtige Basis für die fachliche Interpretation durch VeterinärmedizinerInnen. Noch praktischer wurde es dann, als die SchülerInnen beim Abwiegen und Markieren der Aufzuchtschweine mithalfen und ihre Verhaltensbeobachtungen unter Maschats Anleitung in ihren ersten Ethogrammen festhielten.

Mit der Kuh auf Du und Du

Auch die Gruppe im Kuhstall baute bei den praktischen Übungen schnell Unsicherheiten ab und spätestens im Kälberstall gab es keine Berührungsängste mit den Wiederkäuern mehr. Die beiden Veterinärmediziner Michael Iwersen, Experte für Digitalisierung in der Milchviehhaltung, und Harald Pothmann, Leiter der Mobilklinik der VetFarm, brachten den SchülerInnen den Rinderstall und die Herausforderungen, aber auch das Potenzial der Bestandsbetreuung von Milchkühen im 21. Jahrhundert näher.

Precision Dairy Farming

Für ein modernes Herden- und Betriebsmanagement im Kuhstall sind Digitalisierung und Automatisierung zentrale Eckpfeiler, die es erlauben, das Einzeltier innerhalb der Herde stärker zu berücksichtigen. In der Tierhaltung verwendete Sensoren, die zum Beispiel an einem Halsband befestigt werden, erfassen zahlreiche Parameter, die für jede einzelne Kuh wichtige Informationen liefern. Sensoren erkennen beispielsweise an spezifischen Bewegungsmustern die Brunst oder das Anstehen einer Geburt. Sie zeichnen die Wiederkauaktivität auf, erfassen Stoffwechselvorgänge oder bestimmen die Futteraufnahme. Dies ermöglicht bereits eine umfassende Gesundheitsüberwachung und damit die Chance, Risikofaktoren in einem Bestand frühzeitig zu erkennen.

An der Vetmeduni Vienna wird intensiv an weiteren zukünftigen Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien in der Tierhaltung geforscht. Michael Iwersen weist aber auch darauf hin: „Trotz aller technologischer Fortschritte muss uns bewusst sein, dass Digitalisierung stets als zusätzliches Hilfsmittel zu betrachten ist. Sie entlastet zwar die LandwirtInnen und VeterinärmedizinerInnen, kann und soll aber deren Sachverstand nicht ersetzen.“ Nach dem Exkurs in den digitalen Kuhstall stand am Ende des Tages für die SchülerInnen nochmals das praktische Arbeiten im Fokus.

Noten im Kuhstall

Konzentrationsfähigkeit war gefordert, als die SchülerInnen die entspannt liegenden Wiederkäuer bei ihren namensgebenden Kieferbewegungen beobachteten. Um beurteilen zu können, ob Fütterung und Pansen in Ordnung sind, braucht es einen geschulten Blick. Wie oft kaut die Kuh wieder, bevor der eingespeichelte Nahrungsbrei erneut abgeschluckt wird? Nach Fütterung, Verdauung und Stoffwechsel wurden weitere äußere Merkmale besprochen, die Aufschluss über den Ernährungs- und Gesundheitszustand der Tiere geben. Die Körperkondition der Kühe wurde nach Noten beurteilt – so lernten die SchülerInnen beispielsweise das sogenannte „Warndreieck“ der Kuh kennen, das die dreieckige Vertiefung zwischen Rippenbogen, Querfortsätzen der Lendenwirbelsäule und Hüftbeinhöcker beschreibt.

Am Ende des Tages war den TeilnehmerInnen klar, dass es in einem Stall um mehr als nur ums Ausmisten und Füttern geht. Das vermittelte Wissen, die aktuellen Forschungsprojekte sowie das praktische Arbeiten bei den Tieren boten ausreichend Gelegenheit, einen Stall hautnah zu erleben und zu erkennen, was es alles braucht, um die Tiergesundheit und das Tierwohl laufend zu gewährleisten.

 

Science goes School

Science goes School adressiert SchülerInnen der Oberstufe zwischen 16 und 19 Jahren. Die Veranstaltungen werden von der NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB) in Kooperation mit dem Land Niederösterreich organisiert.
Weitere Infos: www.sciencegoesschool.at