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Universität

Immer gelenkig bleiben

Michal Kyllar ist neuer Leiter des Instituts für Topographische Anatomie, das künftig die fachliche Power von Anatomie und Histologie bündeln soll. Der gebürtige Tscheche aus Brno hat in den vergangenen Jahren in England und an seiner Heimatuni zu Biomechanik und Gelenken gearbeitet. Dem VETMED verrät er, was er in Forschung und Lehre vorhat und warum er ein Fan der Fach-Module ist.

Was hat Michal Kyllar eigentlich dazu motiviert, Veterinärmedizin zu studieren? Wann ist der Funke für das Fach übergesprungen? Beim neuen Leiter des Instituts für Topographische Anatomie war es wohl eher ein gut gegossenes Samenkorn, aus dem das Interesse erwuchs. Michal Kyllar stammt aus einer „sehr tierfreundlichen Familie“, wie er erzählt, mit Hundewelpen als kindlichen Spielkameraden. Genauer gesagt war bereits sein Großvater ein Land-Tierarzt und Pferdehalter in Tschechien. Auch sein Vater (orthopädischer Chirurg mit Kleintierpraxis) und seine Mutter (arbeitet in der Zulassungsbehörde) sind beide VeterinärInnen. Er erinnert sich, dass er als Kind kurz Koch werden wollte. Aber die erbliche Vorbelastung, das Vorbild und der alltägliche Kontakt mit dem Beruf verfehlten ihre Wirkung nicht. Auch die Anatomie als Fachgebiet begleitet ihn schon lange, fing er doch unmittelbar nach seiner eigenen Anatomieprüfung an der Universität Brno als Lehrassistent für systemische Anatomie an. Die reine Beschreibung der Organe „fand ich als Student selbst fad. Aber sie ist die Basis für die topographische Anatomie, die Funktion und Lage der Organe zueinander in den Blick nimmt. Das brauchst du wirklich, um etwa ein Abdomen fachgerecht zu öffnen“.

Noch bis März 2021 wird Michal Kyllar zwischen der Companion Care and Vets4Pets-Klinik in Broadstairs & Canterbury (Großbritannien), wo er die vergangenen vier Jahre klinischer Direktor und leitender Chirurg war, und dem Campus der Veterinärmedizinischen Universität in Wien pendeln. Im Frühjahr übernimmt er Vollzeit die Leitung des neuen Instituts für Topographische Anatomie, in dem fachliche Stärken von Histologie und Anatomie künftig zusammenwirken sollen. Das Anatomie-Institut wurde in den vergangenen drei Jahren interimistisch geleitet. Michal Kyllar freut sich darauf, die geballte inhaltliche Power in Forschung und Lehre auszuspielen.

Hands-on und modulhafte Lehre

Deutsch auf Level A2 hat er mit einem Privatlehrer und täglichem Üben bereits geknackt. Sobald er die Sprachkenntnisse aufgefrischt und auf ein entsprechendes Niveau gebracht hat, will er seine Leidenschaft für Anatomie in der klinisch-chirurgischen Praxis auch auf Deutsch an die Studierenden weitergeben. Im Wintersemester 2021 möchte Michal Kyllar so weit sein. Den Unterricht würde er gerne „Hands-on“ gestalten und seine klinischen Fähigkeiten werden ihm dabei helfen: „Wir wollen in Wien PraktikerInnen ausbilden, nicht AnatomInnen. Daher wird auch diagnostische Bildgebung eine wichtige Rolle spielen.“ Er selbst absolviert gerade einen Master in Diagnostic Imaging an der Universität Luxemburg.

Die Wiener Veterinärmedizinische Universität und ihr Kollegium hat Michal Kyllar 2016 beim Jahrestreffen der European Association of Veterinary Anatomists besser kennengelernt. Bereits damals hat er in Hinblick auf den BREXIT Interesse an der Zusammenarbeit bekundet. „Ich habe Wien als Stadt immer geliebt“, sagt Kyllar, der 2004 schon einmal für einen Forschungsaufenthalt im Fach Pathobiologie an der Vetmeduni war. Außerdem sei in Wien der modulare Unterricht als Methode bereits etabliert. So wollte er immer schon unterrichten, „weil das Thema und die klinische Anwendung viel näher beisammen liegen“. Das Engagement in Wien kommt für den 43-Jährigen jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt: Anfang 2021 wird er zum ersten Mal Vater und wünscht sich mehr Präsenz an einem Ort.

Auch Zufall kann eine Karriere gestalten

Der Zufall und die Möglichkeit, den eigenen Horizont immer wieder über seine Heimatstadt und die Kleintierpraxis seines Vaters hinaus zu weiten, spielten eine gewichtige Rolle in seiner Karriereentwicklung. So besuchte Michal Kyllar vier Jahre eine Highschool in den USA, weil sein Vater nach der Revolution einen Posten an der University of Florida annahm, „was mich aus dem Kommunismus direkt in die westliche Welt katapultierte“. Das Studium begann er zurück in Brno, wo ihn ein Kommilitone wegen seiner Englischkenntnisse für das Anatomie-Lehr-Team rekrutierte: „Dort war ich nah an der Anatomie mit dem Sezier- und Präparationsbetrieb. Seither unterrichte ich Anatomie – fast 20 Jahre jetzt.“ Eine bewusste Entscheidung war dieser – rückblickend betrachtet – entscheidende Schritt nicht.

Nach seinem Diplom in Veterinärmedizin war ihm klar, dass er lieber lehren, forschen und operieren wollte, als eine Kleintierpraxis zu führen. Alles war arrangiert mit einem Doktorvater in Utrecht (Niederlande), als sich die universitären Forschungspräferenzen an der Uni änderten und eine thematische Ausrichtung auf Mundhöhle, Entwicklungsstörungen und Zahnprobleme nahelegten. Michal Kyllar disponierte um und widmete sich in der Dissertation morphologischen Aspekten von Störungen in der Mundhöhle bei Hunden. Der Forschungsaufenthalt in Utrecht gab dennoch den Startschuss für die Schulung seiner praktischen Fähigkeiten in Kleintierchirurgie, die er in München, Berlin und am Royal Veterinary College in London vertiefte.

Theorie und Praxis verbinden

„Ich schätze die Verbindung von Theorie und Praxis“, erklärt Michal Kyllar und nennt Biomechanik und Neuroanatomie – auf Grund ihrer hohen praktischen Relevanz – als Themen für seine Vorlesungen. In der Forschung will er drei Themenstränge verfolgen. Erstens die Biomechanik der Gelenke in Katzen und Hunden in Relation zu orthopädischen Problemen mit der Kernfrage, wie die Anatomie verbreitete Krankheiten triggern kann. Zweitens will er mit den KollegInnen in Brno an neuartigen Techniken für den Ersatz des (menschlichen) Kiefergelenks dranbleiben. Hier kann er „als Veterinär und Anatom beraten, wie man durch die maxillofascialen Muskeln zum Kiefer vordringen könnte, ohne diese zu schädigen“. Für die klinischen Tests denkt er an Modellorganismen wie Schwein, Hase und Ratte, die die menschenähnlichsten Kiefergelenke haben. Und die dritte Stoßrichtung sind für ihn innovative Lehrmethoden durch Virtual Reality: „Die Anatomie-Vorlesungen und das Sezieren müssen bleiben, aber wir könnten weniger Kadaver verbrauchen. Ich denke an VR-Modelle von Tieren in Kombination mit speziellen Handschuhen. Es geht nicht nur um das Anschauen in 3D, sondern auch um die Haptik. Die Konsistenz von Geweben und Organen muss man fühlen.“ Was er in Wien sicher einbringen kann, ist sein Wissen über Gelenke und Biomechanik: „Gerade das Kniegelenk wird bei vielen Hunderassen genetisch oder in der Entwicklung irgendwann zur Problemstelle. In Wien gibt es die passenden Techniken wie kinematische Analyse, Anatomie und Histologie, um hier Fortschritte zu machen. Wir wissen anatomisch sehr viel, aber es gibt noch vieles, was wir besser verstehen und wo wir dazulernen wollen.“

Das Handeln aus „Liebe zu Tieren“ bezeichnet Michal Kyllar beinahe als Automatismus in seinem Beruf. Was ihn darüber hinaus motiviert, ist die Wissensweitergabe: „Den Fortschritt zu sehen und in der Lehre Studierenden etwas mitzugeben“, ist für ihn ein starker Antrieb. Was er an seiner Forschung so mag, ist „der Impact, den sie in der Praxis hat. Die Forschung an Gelenken ist ein gutes Beispiel: Du hilfst Probleme zu beheben, Schmerzen zu lindern, die Rehabilitation zu beschleunigen – das hat eine direkte Auswirkung.“

Er selbst hat zwei große Hunde, einen Labrador und einen Rottweiler, mit denen er gerne hinausgeht. An Wien liebt er die Architektur, die Museen und Galerien: „In der Albertina bin ich oft!“ Auch für den Besuch von Ballettaufführungen, das Mountainbiken, Laufen und das Skifahren im Winter erscheint ihm sein künftiger Arbeitsort nachgerade als ideal.

Text: Astrid Kuffner

Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 04/2020