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Universität

Die Letzten ihrer Art? Über die Zukunft der Veterinärmedizin im Kontext der Nutztierhaltung in Deutschland

Christian Dürnberger, Philosoph am Messerli Forschungsinstitut, Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung an der Vetmeduni Vienna untersuchte in einer Studie, wie deutsche TierärztInnen, die im Bereich der Nutztierhaltung arbeiten, die Zukunft ihres Berufs sehen. Ein Teilbereich der Studie erschien nun als Open-Access-Artikel unter dem Titel „The last of us?“ im „International Journal of Livestock Production“.

© Whgler/Wiki Commons

Ausgangspunkt der Studie

NutztierpraktikerInnen erledigen einen bedeutsamen Job in einem emotional diskutierten Arbeitsfeld – sie selbst aber werden in gesellschaftlichen Debatten kaum gehört. Was sollte in der Nutztierhaltung grundsätzlich dringend geändert werden? Welche Inhalte sollten in der veterinärmedizinischen Ausbildung eine wichtigere Rolle spielen, um angehende TierärztInnen besser auf den Arbeitsbereich „Nutztierhaltung“ vorzubereiten? Würden sie ihren Beruf noch einmal ergreifen? Und raten sie der Jugend, dies zu tun? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt der Studie, die im Sommer 2019 durchgeführt wurde. Die Umfrage richtete sich an Tierärztinnen und Tierärzte, die (ganz oder teilweise) im Bereich der Nutzierhaltung in Deutschland tätig sind. Insgesamt nahmen 123 Tierärztinnen und Tierärzte an der Studie teil. Die Studie ist nicht repräsentativ. Sie fokussierte auf offene Fragestellungen.

Zufrieden mit dem Job…

Die Studie legt nahe, dass die allermeisten Teilnehmenden mit ihrer Berufswahl weitgehend zufrieden sind. Eine Mehrheit würde sich wieder für diesen Beruf entscheiden. Als Gründe hierfür nennen die Studienteilnehmenden die Vielfältigkeit der Arbeit selbst, diese wird als abwechslungsreich, herausfordernd, spannend und bereichernd beschrieben; die TierärztInnen mögen den Austausch mit den LandwirtInnen, den Umgang mit den Tieren und die Möglichkeit, diesen helfen zu können; geschätzt wird die wirtschaftliche Sicherheit des Jobs wie auch die Bedeutsamkeit der Arbeit, da die Produktion von Lebensmitteln als essentielle und daher sinnvolle Tätigkeit empfunden wird.

… aber ein düsterer Blick in die Zukunft

Abgesehen davon, dass bestimmte Teilnehmenden durchaus davor warnen, diesen Beruf zu ergreifen, ist festzuhalten: Auch bei jenen TierärztInnen, die mit ihrem Job zufrieden sind und diesen als wunderbare und schöne Tätigkeit beschreiben, zeigt sich gemeinhin eine düstere Stimmung, was die Zukunft der Profession bzw. der Nutztierhaltung allgemein angeht. Die vorliegende Studie beschreibt dieses Stimmungsbild als einer Arbeit in der „Abenddämmerung des Berufs“: Manche NutztierpraktikerInnen sehen sich als Teil einer Welt, die sich im Niedergang befindet. Sie sprechen von ihrer Arbeit als einem Auslaufmodell, als etwas, das in Deutschland nicht mehr gewollt ist und das eventuell ganz aus diesem Land verschwinden wird. Die Antworten erzählen von Misstrauen und Anprangern. Die NutztierpraktikerInnen fühlen sich von der Gesellschaft teilweise auch im Stich gelassen. Dies zeigt sich u.a. in der hohen Zustimmungsrate zur Aussage, die Arbeit kann mit dem Beruf einer Soldatin, eines Soldaten verglichen werden: Man macht einen Job, der für die Gesellschaft wichtig ist, aber von dem sie lieber keine Bilder sehen will. Ca. 21% stimmen dieser voll und ganz zu, ca. 30% stimmen ihr zu.

Der manchmal niedrige Verdienst, die vielen Arbeitsstunden, die schwierige Work-Life-Balance, die kaum einzuhaltenden Gesetze, die limitierten Möglichkeiten, Tieren zu helfen… ... all das scheint im Vergleich zu dieser düsteren Prognose sekundär zu sein. Sie ist der entscheidende Grund ist, wenn man der Jugend nicht zu diesem Beruf raten kann. Diese „Abenddämmerung“ kann als ein drängendes Thema und ein Stressfaktor identifiziert werden.

Ratschläge für Berufseinsteiger

Berufseinsteigern wird vor allem eines empfohlen: Man sollte genau wissen, worauf man sich einlässt und genau darauf achten, wo man beruflich zu stehen kommt. Dies erfordert zum einen direkten Kontakt mit dem Job, zum Beispiel durch Praktika, vor der endgültigen Berufswahl. Zum anderen kommt es letztendlich auf das konkrete Umfeld an: Welche Praxis? Welche Arbeitszeiten? Welcher Chef? Welches Team? Diese Empfehlungen zeigen, was auch andere Studien nahelegen: Die Rolle des Teams wie auch und besonders des Vorgesetzten ist nicht zu vernachlässigen, wenn es um die Arbeitszufriedenheit von Veterinärmedizinerinnen und Veterinärmedizinern geht.

Neue Ausbildungsthemen

Die Studie gibt Hinweise darauf, wie aus Sicht der NutztierpraktikerInnen die Ausbildung bzw. Fortbildung verbessert werden könnte. Diese geforderten Ausbildungsthemen zeigen dabei auch verschiedene Rollen des Berufs. Gefordert wird vor allem mehr betriebswirtschaftliches Wissen (TierärztInnen als UnternehmerInnen) und mehr Wissenstransfer rund um die Bestandsbetreuung (TierärztInnen als GesundheitsmanagerInnen, die nicht nur kurativ tätig werden, wenn ein einzelnes Tier erkrankt, sondern die das große Ganze eines Betriebs im Blick haben). Da nicht alles, was in diesem Berufsfeld entscheidend ist, an der Universität gelehrt werden kann, fordern die Teilnehmenden auch eine praxisnähere Vorbereitung (TierärztInnen als HandwerkerInnen, sprich: Ein Nutztierpraktiker, eine Nutztierpraktikerin zu sein bedeutet mehr als nur theoretische Kenntnisse zu haben, es bedeutet auch, bestimmte praktische Fähigkeiten aufweisen, wie dieses Wissen anzuwenden ist. Diese praktischen Skills können nur durch Übung und Anwendung erlernt werden.)

Was sollte sich in der Nutztierhaltung grundsätzlich ändern?

Neben konkreten Vorschlägen fordern die Teilnehmenden vor allem Veränderungen des Systems. (a) In Bezug auf die Tierhaltung wünschen sie sich mehr finanziellen Spielraum für die Landwirtschaft. Den Bäuerinnen und Bauern fehlt schlicht das Geld. Dieser wirtschaftliche Druck wirkt sich auf die Situation der Tiere aus – und damit auch auf den veterinärmedizinischen Beruf in diesem Kontext. Hier zeigt sich eine entscheidende Herausforderung des Berufsstandes: Oft würde man die Tiere gerne anders behandeln, aber man wird durch äußere Hindernisse – vor allem durch die geringen finanziellen Mittel der TierhalterInnen – daran gehindert. Mit Blick auf eine finanzielle Umstrukturierung sehen die Teilnehmenden vor allem die VerbraucherInnen, den Handel wie die Politik in der Pflicht. Alle drei genannten Akteure werden hierbei eher negativ beschrieben: Sie kommen ihrer Verantwortung nicht nach bzw. handeln nur in ihrem eigenen Interesse.

(b) Die TierärztInnen fordern jedoch ebenso eine Veränderung der gesellschaftspolitischen Debatte über die Nutztierhaltung. Aus Sicht der NutztierpraktikerInnen existiert wenig gesellschaftliches Wissen über die Realitäten der Tierhaltung, der Kontakt zur Lebensmittelproduktion ging über die Jahrzehnte verloren. Darüber hinaus wird die gesellschaftliche Debatte aus Sicht vieler TierärztInnen von anderen Akteuren geprägt, beispielsweise von NGOs oder Politikerinnen und Politikern. Ihre eigene Expertise wird in den entsprechenden Debatten kaum oder gar nicht wahrgenommen, so ihre Perspektive. Und genau dagegen begehren sie auf: Sie sind der Meinung, dass die Akteure der Landwirtschaft – sie selbst – als eine der wichtigsten Stimmen in jeder gesellschaftlichen Debatte über die Nutztierhaltung Gehör finden sollten.

Neben Vorschlägen zu einem (c) verbesserten Kontrollsystem von Tierschutzaspekten in der Landwirtschaft fordern nicht wenige Teilnehmende schließlich (d) ein kritisches Hinterfragen des Leistungsgedankens: Die Zucht fokussiert auf mehr und mehr Output. Diese permanente Optimierung wird von bestimmten TierärztInnen als Sackgasse empfunden. Die Leistungsgrenze der Tiere ist überschritten, so manche Teilnehmenden. Es braucht ein grundsätzliches Umdenken.

Link zur Studie: “The last of us? An online survey among German farm veterinarians about the future of veterinary training, livestock farming and the profession in general"