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Community-Projekt StadtWildTiere erlaubt unbekannte Einblicke in die Welt von städtischen Wildtieren

Beginnend in Zürich (Schweiz) wurde das Projekt StadtWildTiere seither auf insgesamt 13 Städte in – einschließlich Wien und Berlin – Österreich, Deutschland und der Schweiz ausgeweitet. Auf einer gemeinsamen Online-Plattform werden Beobachtungen zufälliger Begegnungen mit Wildtieren in städtischer Nachbarschaft gesammelt. In Österreich kann über die Website stadtwildtiere.at gemeldet werden. Eine soeben veröffentlichte internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun den Nutzen dieser länderübergreifenden Initiative.

StadtWildTiere sammelt Sichtungen von Wildtieren in Städten, um das Bewusstsein der Einwohner:innen für die biologische Vielfalt in städtischen Gebieten in ganz Mitteleuropa zu schärfen. Zudem dient die Sammlung von Daten als Grundlage für wissenschaftliche Analysen. Weiters sollen mit Hilfe des durch die Bürger:innen gesammelten Wissens die Natur und Biodiversität in städtischen Gebieten gefördert werden.

Klimawandel, Wechselwirkungen: Community-Projekt deckt Verborgenes erstmals auf

Die Stadtökologie ist noch ein junges Feld und städtische Wildtierpopulationen standen bisher nicht im Fokus von Studien. „StadtWildTiere ermöglicht es uns, bisher verborgene Muster und zeitliche Trends zu erkennen, z. B. im Rahmen der städtischen Verdichtung und des Wärmeinseleffekts, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Damit kann die Initiative auch als Sensor für die zukünftigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wildtieren dienen“, erklärt Studien-Coautorin Theresa Walter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Wichtige Grundlagen für Entscheidungen auf politischer Ebene

Langfristig schlagen die Wissenschafter:innen vor, dass Projekte wie StadtWildTiere eine Basis für ein vergleichendes, internationales Monitoring schaffen sollten, um die bestehenden Wissenslücken über städtische Wildtierpopulationen zu schließen. Die daraus gewonnenen Daten weisen laut Studien-Coautor Richard Zink vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni weit über die Wissenschaft hinaus: „Dieses Wissen ist auch für politische Entscheidungsträger:innen und Wildtiermanager:innen von entscheidender Bedeutung, um die richtigen Strategien und Maßnahmen zu etablieren. Insbesondere betrifft das auch die Frage, wie sich die biologische Vielfalt in Städten wirksam verbessern lässt.“

Der Artikel „StadtWildTiere – added value and impact of transnational urban wildlife community science projects“ von Madeleine Geiger, Anouk Lisa Taucher, Sandra Gloor, Mirco Lauper, Sarah Kiefer, Sophia E. Kimmig, Janette Siebert, Theresa Walter, Richard Zink, Fabio Bontadina und Daniel Hegglin wurden in „Frontiers in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.


Wissenschaftlicher Artikel

StadtWildTiere Österreich

EUFLYNET: eine COST-Aktion zur Erforschung und Erhaltung von ziehenden Landvögeln

Die Zahl der Zugvögel, insbesondere derjenigen, die nach Afrika südlich der Sahara fliegen, geht in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet zurück. Die Erhaltung dieser Arten stellt aufgrund der großen geografischen Ausdehnung ihrer Lebensräume eine gewaltige Herausforderung dar. Um diese Vögel wirksam zu schützen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Herausforderungen zu verstehen, denen sie nicht nur in ihren Brutgebieten, sondern auch entlang ihrer Zugrouten und in ihren Überwinterungsgebieten begegnen. Bedauerlicherweise ist unser Wissen oft durch unzureichende Forschungsmöglichkeiten in einem Großteil ihres Verbreitungsgebiets begrenzt. Um diese Lücke zu schließen, ist es notwendig, ein solides Netzwerk kollaborativer Untersuchungen entlang der Zugrouten einzurichten und die Forschungskapazitäten in den Gebieten, in denen sie derzeit unzureichend sind, zu erweitern. Anschließend müssen die wichtigsten Interessengruppen einbezogen werden, um die Erhaltungsmaßnahmen zu verwirklichen.

Mit der Initiierung der COST-Aktion EUFLYNET unter der Leitung von Dr. Ivan Maggini vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung an der Vetmeduni wurde ein wichtiger Schritt getan. Die von der EU finanzierte COST-Aktion (Collaboration for Science & Technology) zielt darauf ab, die Vernetzung und den Wissenstransfer zu fördern. Das im Oktober 2023 gestartete EUFLYNET wird vier Jahre lang die Forschung koordinieren und den Wissensaustausch zwischen Wissenschaftler:innen erleichtern, die ein breites Spektrum europäischer Zugvogelarten untersuchen. Das Netzwerk hat bereits 160 Mitglieder aus 37 Ländern und ist für den weiteren Ausbau gerüstet. Die erste persönliche EUFLYNET-Versammlung fand vom 28. Februar bis 1. März 2024 in Jastarnia (Polen) statt. Etwa 100 Teilnehmer:innen berieten über gemeinsame Vorhaben und erhielten Schulungen zu einschlägigen Themen wie statistische Modellierung, Radiotracking und Analyse von Tracking-Daten. Wir sind auf die nächsten Maßnahmen im Rahmen dieser wichtigen Aktion überaus gespannt! Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Aktion: www.euflynet.eu.

Wiener Forschungsteam entwickelt neuen Test, um die kognitiven Fähigkeiten von Fischen zu untersuchen

Der ostafrikanische Tanganjikasee ist weltweit für seine bunten Zierfische bekannt. Die Prinzessin von Tanganjika See (Neolamprologus pulcher), einer der beliebtesten dieser kleinen Buntbarsche, wurde nun von einen Wissenschaftsteam der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersucht. Ziel war die erstmalige Entwicklung eines einfachen Tests, um die kognitiven Fähigkeiten für ein breites Spektrum von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum zu erforschen.

Die kognitiven Fähigkeiten variieren innerhalb und zwischen den Arten. Wissenschafter:innen schlagen mehrere Hypothesen vor, um diese Variation zu erklären. Zwei der bekanntesten Hypothesen zur Evolution der Kognition stellen einerseits die zunehmende soziale Komplexität und andererseits die Komplexität des Lebensraums mit höheren kognitiven Fähigkeiten in Zusammenhang.

Mehrere Studien haben die aus diesen beiden Hypothesen abgeleiteten Vorhersagen getestet, doch nur selten unter natürlichen Bedingungen mit Wildtieren und überhaupt nicht anhand von freilebenden Fischen. „Dies ist jedoch von besonderer Bedeutung, wenn wir kognitive Fähigkeiten mit fitnessrelevanten Faktoren verknüpfen wollen, um die Evolution der Kognition besser zu verstehen“, betont Studien-Erstautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Erster Test zur Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum

Die größte Hürde bei der Bewertung der kognitiven Fähigkeiten in freier Wildbahn bestand bisher laut den Forscher:innen darin, einen geeigneten Aufbau zu finden, der unter Feldbedingungen einfach zu handhaben ist. Als Ziel setzte sich das Forschungsteam einen möglichst einfachen Test, der außerdem bei einer Vielzahl von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum eingesetzt werden kann.

Wie dies gelang, erklärt Studien-Letztautor Stefan Fischer vom KLIVV: „Wir entwickelten einen Umweg-Test, bei dem die Fische um ein Hindernis herumschwimmen mussten, damit sie eine Futterbelohnung erreichen.“ Indem die Verhaltensforscher:innen den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe veränderten, bestätigten sie, dass dieses Verfahren ein gültiger Test ist um die kognitiven Fähigkeiten von wild lebenden Gruppen von Neolamprologus pulcher zu untersuchen.

Hypothesenprüfung bringt uneinheitliche Ergebnisse

Anschließend überprüften sie die spezifischen Vorhersagen der beiden Haupthypothesen zur kognitiven Entwicklung unter Verwendung der schwierigsten Testkonfiguration. „Insbesondere untersuchten wir die Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten von Gruppen unterschiedlicher Größe, die unterschiedlich komplexe Lebensräume bewohnen. Beide Hypothesen ließen sich im Rahmen dieser ersten Pilotstudie jedoch nicht eindeutig verifizieren“, so Arne Jungwirth. Allerdings betonen die Wissenschafter:innen, dass die von ihnen entwickelte Versuchsanordnung die Möglichkeit eröffnet, eine ganze Reihe von Forschungsfragen zu beantworten. Dazu Stefan Fischer: „Wir erwarten, dass der von uns entwickelte Test zu einem besseren Verständnis der Evolution kognitiver Fähigkeiten in der freien Natur beiträgt.“

Der Artikel „Estimating Cognitive Ability in the Wild: Validation of a Detour Test Paradigm Using a Cichlid Fish (Neolamprologus pulcher)“ von Arne Jungwirth, Anna Horsfield, Paul Nührenberg und Stefan Fischer wurde in „Fishes“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

 

 

Quecksilber gefährdet Giftfrosch-Nachwuchs in Amazonien

Quecksilber ist ein Umweltschadstoff, der aufgrund seiner Toxizität und der Risiken für wild lebende Tiere und die menschliche Gesundheit weltweit Anlass zu Besorgnis gibt – das betont auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Das Umweltgift findet sich gerade auch an abgelegenen, naturbelassenen Orten wie dem Amazonas und gefährdet die dortige Tierwelt. Das zeigt eine aktuelle internationale Studie unter Leitung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand des Giftfrosches Dendrobates tinctorius.

Der handwerkliche Goldabbau (Artisanal and small-scale gold mining; ASGM) ist zu einer großen Bedrohung für die südamerikanischen Wälder geworden. Diese Technik der Goldgewinnung ist eine wesentliche Ursache für die Entwaldung in kleinem Maßstab und der größte Verursacher von Quecksilber-Emissionen in die Atmosphäre und in Süßwassersysteme weltweit. Frühere Studien haben bereits die Auswirkungen der Quecksilber-Akkumulation auf verschiedene aquatische Ökosysteme und Organismen aufgezeigt. Die Folgen für andere Systeme wie kleine wasserspeichernde Pflanzenstrukturen (Phytotelmata) und die darin lebenden Organismen blieben jedoch bisher unbemerkt.

Aquatische Kinderstuben von Dendrobates tinctorius im Fokus

Ein vom KLIVV der Vetmeduni geleitetes Forschungsteam (Studien-Erstautorin Lia Schlippe-Justicia; Studien-Letztautorin Bibiana Rojas) untersuchte diese Thematik nun in Französisch-Guyana am dort beheimateten Pfeilgiftfrosch Dendrobates tinctorius. Im Fokus standen dabei Phytotelmata. Dies sind kleine Tümpel, beispielsweise im Wurzelbereich von Pflanzen, sowie andere aquatische Mikroumgebungen, z. B. Wasser in Dosen, die von Menschen weggeworfen wurden.

Hohe Quecksilber-Belastungen von klein auf

In diesen typischen Aufzuchtstätten der Kaulquappen von Dendrobates tinctorius fanden die Forscher:innen hohe Quecksilber-Konzentrationen. „In 17 % der Fälle konnten wir sehr hohe Quecksilber-Konzentrationen vor allem in der Nähe zu bekannten ASGM-Standorten nachweisen. Allerdings konnten wir keinen Einfluss der Quecksilber-Konzentration auf die Anzahl der Kaulquappen in einem bestimmten Tümpel feststellen“, so Lia Schlippe-Justicia. Kaulquappen wurden zudem in Tümpeln mit extrem hohen Konzentrationen von bis zu 8,68 ppm gefunden, was laut Schlippe darauf schließen lässt, dass „D. tinctorius-Väter Tümpel mit hohen Quecksilber-Konzentrationen für die Kaulquappenablage nicht zu meiden scheinen.“

Negative Auswirkungen auf die körperliche Entwicklung

Eine deutlich negative Auswirkung auf die Amphibien konnte das Forschungsteam ebenfalls dokumentieren, wie Bibiana Rojas berichtet: „Kaulquappen wiesen in späteren Entwicklungsstadien eine schlechtere Körperkondition auf, wenn sie in Tümpeln mit höheren Quecksilber-Konzentrationen aufwuchsen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Feld- und experimenteller Studien, die die Auswirkungen der Quecksilber-Kontamination auf die Entwicklung und das Verhalten der Kaulquappen sowie die allgemeine Erhaltung der biologischen Vielfalt in Amazonien untersuchen.“

Der Artikel „Poison in the nursery: Mercury contamination in the tadpole-rearing sites of an Amazonian frog“ von Lia Schlippe-Justicia, Jérémy Lemaire, Carolin Dittrich, Martin Mayer, Paco Bustamante und Bibiana Rojas wurde in „Science of the Total Environment“ veröffentlicht.

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Mast vor Vogelwanderungen verändert die Immunität von Zugvögeln

Während ihren Wanderungen sind Zugvögel zahlreichen Krankheitserregern ausgesetzt. Ein funktionierendes Immunsystem ist deshalb bei ihren Flügen in neue Umgebungen von entscheidender Bedeutung. Allerdings ist die Immunität energetisch kostspielig und steht in Konkurrenz zu anderen wichtigen physiologischen Prozessen. In einer aktuellen Studie untersuchten Forscher:innen der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand von Wachteln, inwieweit bereits die Mast vor den Vogelwanderungen die angeborene Immunität beeinflusst.

Wissenschaftlich belegt ist der Umstand, dass die Immunität von Vögeln bei ihren anstrengenden, oft tausende Kilometer weiten Zugflügen häufig geschwächt wird. Weitgehend unbekannt ist bisher jedoch, ob und wie sich die Immunität während der schnellen Anhäufung von Energiespeichern zur Vorbereitung auf die Migration verändert.

Forscher:innen der Vetmeduni und der Poznań University of Life Science in Polen untersuchten dies nun anhand von Wachteln (Coturnix coturnix). Dazu lösten die Forscher:innen durch kontrollierte Veränderungen des Tageslichts eine prämigratorische Mästung aus und untersuchten regelmäßig die Veränderungen bei drei Markern der angeborenen Immunität – Leukozyten-Coping-Kapazität (LCC), Hämagglutinations- sowie Hämolyse-Titer. Zusätzlich wurde die Körperzusammensetzung, und zwar Magermasse und Fettmasse, gemessen.

Wichtige Immunindikatoren ändern sich während der Mastphase deutlich

Alle drei Marker zeigten ähnliche Veränderungen im Verlauf der prämigratorischen Mästung. Dazu Studienerstautor Marcin Tobolka vom Department für Zoologie der Poznań University of Life Science: „Die LCC-Antworten, die Hämagglutinations- und die Hämolyse-Titer waren in der mittleren Mastphase im Durchschnitt höher als in der Hochmastphase, hier waren die Werte ähnlich hoch wie vor Beginn der prämigratorischen Ausmast. In der mittleren Mastphase stellten wir fest, dass die Vögel, die einen größeren Fettanteil aufwiesen, niedrigere LCC-Spitzenwerte und Hämolysetiter hatten. Umgekehrt wiesen zu diesem Zeitpunkt der Mast die Vögel mit einem höheren Anteil an Magermasse die höchsten LCC-Spitzenwerte auf.“

Laut den Wissenschafter:innen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich die Immunindikatoren von Zugvögeln innerhalb eines Zeitraums von acht Wochen ändern, wenn sie Energievorräte für die Migration ansammeln. „Wir vermuten, dass dies auf konkurrierende oder gegensätzliche Prozesse zwischen der Umgestaltung des Stoffwechsels und der Funktion des angeborenen Immunsystems zurückzuführen sein könnte“, erklärt Valeria Marasco vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie.

Wesentlicher Einfluss auf das angeborene Immunsystem

Dass der Prozess der prämigratorischen Mast mit ähnlichen dynamischen Veränderungen der LCC-Spitzenwerte sowie der Hämagglutinations- und Hämolyse-Titer verbunden ist, ist laut den Wissenschafter:innen von großer Bedeutung. Denn diese drei Immunindikatoren sind integrale Bestandteile des angeborenen Immunsystems, das schnell und wirksam gegen ein breites Spektrum von Krankheitserregern vorgeht, auch ohne vorherige Exposition. „Dieser Aspekt ist im Zusammenhang mit der Migration von Tieren von entscheidender Bedeutung, da die Fähigkeit, schnell auf verschiedene Bedrohungen zu reagieren, für die Fitness entscheidend ist“, betont Marasco. Laut den Studienautor:innen sind nun weitere Studien erforderlich, um detaillierte Informationen über den Umbau des Immunsystems während der energetisch anspruchsvollsten Phasen im Lebenszyklus von Zugvögeln zu erhalten.               

Der Artikel „Controlled expression of avian pre-migratory fattening influences indices of innate immunity“ von Marcin Tobolka, Zuzanna Zielińska, Leonida Fusani, Nikolaus Huber, Ivan Maggini, Gianni Pola, Valeria Marasco wurde in „Biology Open“ veröffentlicht.
 

Wissenschaftlicher Artikel 

 

 

Nacktmulle und ihre molekularen Tricks Alter und Krebs zu bremsen

Aufgrund ihrer hohen Lebenserwartung eignen sich Nacktmulle besonders gut, um Mechanismen, die die Zellfunktionen aufrechterhalten und die Alterung verlangsamen, zu erforschen. Diese Ergebnisse könnten relevant sein, um die Alterung und die Entstehung von Krebs beim Menschen weiter zu beleuchten. Eine internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung; KLIVV) liefert nun anhand der Nacktmulle und ihres Darmtrakts wichtige neue Erkenntnisse, wie adulte Stammzellen auf die langfristige Gewebeerhaltung wirken.

Nacktmulle (Heterocephalus glaber) sind ganz besondere Säugetiere. Die maximal 15 Zentimeter kleinen Tiere leben in großen unterirdischen Bauten und Kolonien von bis zu 300 Tieren in den Halbwüsten Ostafrikas und sind die einzige Art der Gattung Heterocephalus. Sie sind nicht nur äußerst sozial, auch ihre Lebenserwartung ist ungewöhnlich hoch und übertrifft die anderer Nagetiere deutlich. Aufgrund dieser Eigenschaft bieten sie Wissenschafter:innen eine einzigartige Gelegenheit zu erforschen, wie die Evolution die Aktivität adulter Stammzellen (ASC) und die Gewebefunktion mit zunehmender Lebenserwartung beeinflusst hat.

Bei Säugetieren und anderen multizellulären Organismen erfordert die langfristige Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase eine strenge Regulierung der Aktivität der adulten Stammzellen, um eine effiziente Reparatur und Regeneration zu gewährleisten. In Säugetiergeweben mit hohem Umsatz wie dem Darm wird das Gleichgewicht in erster Linie durch die kontinuierliche Teilung und Differenzierung der ASC und den anschließenden Zelltod (Apoptose) der reifen Zellen gesteuert. Das längere Überleben von ASC setzt sie einem erhöhten Risiko für Mutationen aus und verringert ihre Fitness, was sich im Alter und bei Krankheiten wie Krebs zeigt.

Darmtrakt mit zahlreichen zellulären Besonderheiten

Vor diesem Hintergrund untersuchte das Wissenschaftsteam den Darmtrakt von Nacktmullen und verglich ihre Darm-ASCs (Lgr5+) mit denen von Mäusen und Menschen. Dazu Dustin J. Penn vom KLIVV der Vetmeduni: „In vivo fanden wir bei Nacktmullen einen erweiterten Pool von Lgr5+-Zellen. Diese Zellen weisen speziell an der Kryptenbasis (Lgr5+CBC) im Vergleich zu denen von wilden Hausmäusen langsamere Teilungsraten auf, haben aber einen ähnlichen Umsatz wie menschliche Lgr5+CBC-Zellen. Anstatt in die Ruhephase (G0) einzutreten, reduzieren die Lgr5+CBC-Zellen von Nacktmullen ihre Teilungsraten durch eine Verlängerung der G1- und/oder G2-Phasen des Zellzyklus.“

Darüber hinaus beobachteten die Forscher:innen einen höheren Anteil differenzierter Zellen in Nacktmullen, die der Darmschleimhaut einen besseren Schutz und eine bessere Funktion verleihen. „Die Darmschleimhaut von Nacktmullen ist in der Lage, jedes chemische Ungleichgewicht in der Darm-Umgebung effizient zu erkennen und eine robuste pro-apoptotische, anti-proliferative Reaktion innerhalb der Stamm-/Progenitorzellzone auszulösen“, erklärt Studien-Co-Autor Dustin J. Penn vom KLIVV der Vetmeduni.

Weniger Krebs: Evolutionäre Anpassungen verringern das Auftreten altersbedingter Erkrankungen

Ihre Studie zur Charakterisierung des Darmtrakts von Nacktmullen ergänzt laut den Forscher:innen die wachsende Zahl von Belegen, dass diese bemerkenswerten Tiere einzigartige Anpassungen entwickelt haben, die eine langfristige Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase ermöglichen und – als sekundäre Folge – das Auftreten von altersbedingten Krankheiten wie Krebs verringern. Die Entwicklung einer größeren Reserve von ASC in allen Gewebetypen bei Nacktmullen erleichtert die effiziente Erhaltung des Gewebes in einer Umgebung mit hohem oxidativem und mechanischem Stress, verringert die Wahrscheinlichkeit der Fixierung schädlicher Mutationen aufgrund einer verstärkten Selektion gegen schädliche Varianten und verlangsamt die klonale Expansion, die beim Altern zu beobachten ist. Die niedrigeren ASC-Teilungsraten im Darm von Nacktmullen – wie beim Menschen – verhindern zudem wahrscheinlich eine proliferative Erschöpfung der ASC, was für eine höhere Lebenserwartung erforderlich ist.

Der Artikel „Adult stem cell activity in naked mole rats for long-term tissue maintenance“ von Shamir Montazid, Sheila Bandyopadhyay, Daniel W. Hart, NanGao, Brian Johnson, Sri G. Thrumurthy, Dustin J. Penn, Bettina Wernisch, Mukesh Bansal, Philipp M. Altrock, Fabian Rost, Patrycja Gazinska, Piotr Ziolkowski, Bu’Hussain Hayee, Yue Liu, Jiangmeng Han, Annamaria Tessitore, Jana Koth, Walter F. Bodmer, James E. East, Nigel C. Bennett, Ian Tomlinson und Shazia Irshad wurde in „Nature Communications“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

 

 

Schwanzwedeln – klares Zeichen mit unklarem Ursprung

Hunde zeigen durch Wedeln Sympathie und Freude. Doch wie hat sich das rhythmische Hin und Her des Hundeschwanzes entwickelt? Die Antwort ist alles andere als eindeutig. Denn das Schwanzwedeln ist ein auffälliges, aber wissenschaftlich schwer fassbares Verhalten. Bisher wurden ihm wissenschaftlich unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben, was zu fragmentarischen und widersprüchlichen Antworten führte. Eine soeben im Fachjournal Biology Letters veröffentlichte internationale Review-Studie unter Beteiligung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt diese Problematik auf – und liefert gleichzeitig neue Erklärungsansätze, um endlich einen strukturierten theoretischen Rahmen zu entwickeln.

In ihrer Review fassen die Studienautor:innen die bestehenden Forschungsarbeiten zu den Mechanismen, der Entwicklung, der Evolution und der Funktion des Schwanzwedelns bei Haushunden (Canis familiaris) zusammen und zeigen auf, wo die Ergebnisse konvergieren oder divergieren. Als Lösung dieser Diskrepanz schlagen die Wissenschafter:innen vor, dieses Verhalten von seinen evolutionären Wurzeln her zu untersuchen.

Zwei neue Hypothesen zur Erklärung, wie das Schwanzwedeln entstand

Dazu stellen sie zwei Hypothesen auf, die sein häufigeres Auftreten im Vergleich zu anderen, nahe verwandten Hundeartigen (Caniden) wie Wölfen erklären sollen. Demnach könnte das Schwanzwedeln während des Domestizierungsprozesses auf zwei Wegen entstanden sein: Entweder als Nebenprodukt der Selektion für andere Eigenschaften, wie z. B. Gelehrigkeit, oder als eine Eigenschaft, die direkt vom Menschen ausgewählt wurde, der sich von sich wiederholenden und rhythmischen Bewegungen angezogen fühlt.

Giulia Cimarelli und ihre Kolleg:innen vom Domestikations-Lab (KLIVV) der Vetmeduni sehen dies als wichtigen Ausgangspunkt neuer Studien: „Wir laden dazu ein, diese Hypothesen durch neurokognitive Studien sowohl an Hunden als auch an Menschen zu testen und so nicht nur ein Schlüsselverhalten von Hunden, sondern auch die Evolutionsgeschichte charakteristischer menschlicher Eigenschaften, wie die Vorliebe für und die Wahrnehmung und Erzeugung von rhythmischen Reizen, zu beleuchten.“

Ein Paradebeispiel der Hund-Mensch-Kommunikation

Haushunde sind die am weitesten verbreiteten Fleischfresser der Welt: Mit einer geschätzten Population von einer Milliarde sind sie fast überall vertreten, wo Menschen leben. Durch das enge Zusammenleben interagieren Menschen in vielen Zusammenhängen direkt mit Hunden und müssen verschiedene Signale verwenden, um effektiv zu kommunizieren. Visuell liefern insbesondere die Position und das Wedeln des Schwanzes leicht zu beobachtende Informationen, die der Mensch nutzt, um auf den inneren Zustand des Hundes zu schließen. „Das Schwanzwedeln ist wohl eine der auffälligsten Verhaltensweisen von Tieren, die der Mensch beobachten kann“, so Giulia Cimarelli.

Der Artikel „Why do dogs wag their tails?“ von Silvia Leonetti, Giulia Cimarelli, Taylor A. Hersh und Andrea Ravignani wurde in „Biology letters“ veröffentlicht.  

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Erfolgreiche Vogel-Flirts: Weniger ist mehr

Balzen will gelernt sein und am erfolgreichsten sind nicht unbedingt die größten Angeber. Alternative Flirt-Strategien sind durchaus erfolgsversprechend. Zum Beispiel macht subtiles, spielerisches Verhalten wie eine vordergründige Schüchternheit neugierig und kann bei potenziellen Sexual-Partnerinnen das Interesse erhöhen. Was sehr menschlich klingt, analysierte nun eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand der Vogelbalz. Veröffentlicht wurde die Review in der renommierten britischen Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.

Für ihre Forschungsarbeit analysierte das dreiköpfige Wissenschaftler-Team bereits veröffentlichte Studien zur Vogelbalz. Demnach dominiert in der Forschung zur sexuellen Selektion die Vorstellung, dass bei der Partnerwahl die stärksten, beeindruckendsten und ausgefallensten Balzhandlungen zum Erfolg führen – diese würden die Qualität des Braut-Werbenden am besten widerspiegeln.

Subtil schlägt brachial

Laut den Verhaltensforschern ist die Balz allerdings oft zeitlich strukturiert und enthält verschiedene Elemente mit unterschiedlichem Grad an Intensität und Auffälligkeit. „So sind zum Beispiel sehr intensive Bewegungen oft mit subtileren Komponenten wie statischen Körperhaltungen oder Versteckspielen gekoppelt“, erklärt Thomas MacGillavry.  In diesem Zusammenhang bezeichnen die Wissenschaftler solche subtilen Darstellungsmerkmale als „schüchtern“, da sie Informationen über die maximalen Darstellungsfähigkeiten zurückhalten.

Drei Hypothesen zum Erfolgsgeheimnis der gefiederten „Shy guys“

Das Forschungsteam untersuchte die Rolle von Intensitätsvariationen innerhalb zeitlich dynamischer Darbietungen und präsentiert drei Hypothesen für die Evolution von „scheuem“ Balzverhalten. Dazu Giovanni Spezie: „Zunächst gehen wir auf die Hypothese der Bedrohungsreduktion ein, die auf sexuellen Zwang und sexuelle Autonomie als wichtige Aspekte der sexuellen Selektion hinweist. Dann schlagen wir vor, dass Variationen in der Größe der Darstellung bereits bestehende Wahrnehmungsvorlieben für zeitliche Kontraste ausnutzen.“ Als dritte Hypothese formulieren die Wissenschaftler die Idee, dass das Zurückhalten von Informationen die Neigung der Empfänger ausnutzen kann, Informationslücken zu füllen – dieses Phänomen nennen sie „curiosity bias“, also das Wecken von Neugier bei den potenziellen Sexual-Partnerinnen.

Neue Denkanstöße für ein besseres Verständnis des Balzverhaltens

„Ähnlich wie in der menschlichen Musik oder im Theater können Balzvorführungen echte Darbietungen sein, bei denen verschiedene Elemente zusammenwirken, um das Publikum zu verführen, Spannung aufzubauen, zu überraschen und zu erregen. Die Art und Weise, wie sich solche Darbietungen im Rahmen einer Balz entfalten, stellt eine vielversprechende und neue Richtung für die Erforschung des Balzverhaltens dar“, so Leonida Fusani, Leiter des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni. Dass solche Aspekte bislang in der Forschung unterrepräsentiert sind, liegt laut den Wissenschaftlern daran, dass Verhaltensweisen in der Verhaltensforschung traditionell in ihre Bestandteile zerlegt und nicht gesamthaft gesehen werden – eine Analyse, die möglicherweise eben nicht den tatsächlichen Wechselwirkungen während einer Balz entspricht.

Der Artikel „When less is more: coy display behaviours and the temporal dynamics of animal courtship“ von Thomas MacGillavry, Giovanni Spezie und Leonida Fusani wurde in „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht.
 

Wissenschaftlicher Artikel


Fotos: Dominic Chaplin

Unterbringung von Mäuseweibchen verändert die Anziehungskraft der männlichen Balzgesänge

Männliche Hausmäuse erzeugen komplexe Ultraschalltöne (ultrasonic vocalizations, USVs), insbesondere während der Balz und der Paarung. Diese Laute ähneln dem Vogelgesang, obwohl wir sie nicht hören können, weil sie oberhalb des Frequenzbereichs des menschlichen Gehörs liegen (>20 kHz). Diese männlichen Balzgesänge kommen gut an, allerdings nur wenn Weibchen nicht allein sind. Das zeigt eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni.

In ihrer Studie führten die Wissenschafter:innen ein Playback-Experiment mit wild lebenden weiblichen Hausmäusen (Mus musculus musculus) durch. Sie ließen die Mäuseweibchen zwischen einem Bereich mit einem Lautsprecher, der Aufnahmen von männlichen USVs abspielte, und einem anderen Bereich mit einer Kontrollaufnahme ohne männliche USVs wählen.

Dabei wurde getestet, ob die Anziehungskraft der Weibchen auf männliche USVs durch drei Faktoren beeinflusst wird: soziale Erfahrung – dazu wurden die Weibchen allein oder mit einem anderen Weibchen gehalten, neonatale väterliche Exposition – nach der Geburt wurden die Weibchen mit oder ohne ihren Vater aufgezogen, sowie sexuelle Empfänglichkeit – die Wissenschafter:innen kontrollierten während der Studie, ob die Weibchen in Brunst waren oder nicht. Frühere Studien deuten darauf hin, dass sich Mäuseweibchen aufgrund dieser drei Faktoren von männlichen USVs unterschiedlich stark angezogen fühlen.

Frauenrunden wirken positiv, Vaterbeziehung spielt keine Rolle

„Wir stellten fest, dass sich die Weibchen zu männlichen USVs hingezogen fühlten. Allerdings nur, wenn sie mit einem anderen Weibchen zusammen untergebracht waren. Einsame Weibchen, die einzeln untergebracht waren, zeigten die entgegengesetzte Reaktion und schienen männliche USVs sogar zu meiden. Es ist unklar, warum die Einzelunterbringung der Weibchen ihre Vorlieben für männliche Balzgesänge umkehrte. Allerdings könnten sie dadurch vorsichtiger sein, wenn sie sich einem unbekannten Männchen nähern,“ erklärt  Sarah M. Zala vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni

„Zudem fanden wir heraus, dass die Weibchen männliche USVs stärker bevorzugten, wenn sie nicht in Östrus (die Brunst bei Mäusen) waren, und insbesondere, wenn die Weibchen nicht in Östrus und nicht einzeln untergebracht waren“, erklärt Co-Autor Dustin Penn vom KLIVV. "Dieser Brunst-Effekt stimmt mit einer früheren Studie an Labormäusen überein", betont er, "aber wir haben keine Erklärung dafür." Schließlich hatte die frühe Exposition gegenüber einem Vater keinen Einfluss auf die Vorliebe der Weibchen für männliche USVs.

Soziale Erfahrung und Sexualzyklus machen den Unterschied

In Summe deuten die Forschungsresultate darauf hin, dass die Anziehungskraft der Weibchen auf männliche USVs von ihrer sozialen Erfahrung (Unterbringung) und dem Östrus-Stadium – also ob die Weibchen in Brunst sind oder nicht – abhängt. Diese Ergebnisse dürften die Erforschung der genetischen Kontrolle von Hörverlust erleichtern, die häufig mit Labormäusen durchgeführt wird. Lauten den Forscher:innen zeigen die Studienergebnisse, wie scheinbar unwichtige Faktoren wie die soziale Unterbringung und der Sexualzyklus das Verhalten von Mäusen beeinflussen können, obwohl diese und viele andere derartige Variablen in der Regel nicht in wissenschaftlichen Arbeiten erwähnt werden. Diese Ergebnisse geben Anlass zur Sorge, dass nicht berichtete Variablen möglicherweise zur "Replikationskrise" in der Wissenschaft beitragen.

Der Artikel „Attraction of female house mice to male ultrasonic courtship vocalizations depends on their social experience and estrous stage“ von Jakob Beck, Bettina Wernisch, Teresa Klaus, Dustin J. Penn und Sarah M. Zala wurde in „PLOS ONE“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

2023-10-30

Plastik statt Stroh: Störche nutzen menschlichen Abfall zum Nestbau

Die vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung hat erhebliche Auswirkungen und beeinflusst sogar den Nestbau von Vögeln. Das zeigt eine aktuelle europäische Studie unter Leitung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni anhand von Störchen. Allerdings unterscheidet sich die Verwendung von menschlichen Abfällen zwischen einzelnen Storch-Populationen erheblich.

Zwei wesentliche Folgen der immer stärkeren Ausbreitung des Menschen sind die Umwandlung natürlicher Lebensräume in landwirtschaftlich genutzte Flächen und die Ausweitung bebauter Gebiete. Damit verbunden finden sich auch menschliche Abfälle so gut wie überall. Das hat schwerwiegende Auswirkungen: Insbesondere die Plastikverschmutzung wirkt sich weltweit auf die Tierwelt aus. Weggeworfenes Plastik ist allgegenwärtig und für Vögel zunehmend ein Material, das in die Neststruktur eingebaut wird – das zeigt nun ein europäisches Forschungsteam aus Spanien, Polen und Österreich anhand des Weißstorchs (Ciconia ciconia). In ihrer Studie beschreiben die Wissenschafter:innen die Art, Häufigkeit und Menge an anthropogenem Nistmaterial bei zwei Populationen des Weißstorchs in zwei geografisch weit voneinander entfernten Brutgebieten, und zwar in Polen und in Spanien.

Polen ist nicht Spanien: Deutliche Unterschiede bei der Nutzung von Plastik

In den insgesamt 303 Nestern der beiden Populationen stellten die Forscher:innen signifikante Unterschiede bei der Verwendung von anthropogenem Nestmaterial fest. Um den Grund dafür zu erklären, nutzten die Wissenschafter:innen Fernerkundungsdaten des menschlichen Fußabdrucks (Human Footprint Index, HFI) und den Anteil der undurchlässigen Flächen (Gebäude, Straßen, ähnliche menschgemachte Strukturen/Impervious Surface Areas, ISA). „Wir fanden heraus, dass sowohl ISA als auch HFI in der spanischen Population einen positiven Zusammenhang mit der Menge an anthropogenem Nistmaterial aufweist. Demgegenüber zeigten sich in der polnischen Population keine statistisch signifikanten Korrelationen“, so Studien-Letztautor Marcin Tobółka vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni. Darüber hinaus konnten die Forscher:innen nachweisen, dass die Verwendung von anthropogenem Nestmaterial in Spanien doppelt so hoch ist wie in der polnischen Weißstorchpopulation.

Habitate: Verschieden großer menschlicher Fußabdruck als wesentlicher Faktor

Die für die spanischen und polnischen Untersuchungsorte unterschiedlichen Werte des menschlichen Fußabdrucks HFI spiegeln laut der Studie den unterschiedlich starken Druck des Menschen auf den Naturraum wider. Als Folge bewohnt die spanische Weißstorchpopulation stärker urbanisierte Gebiete. Im Gegensatz dazu bleibt die polnische Population ein Ackerlandvogel und bewohnt hauptsächlich Gebiete mit naturnahen Wiesen und Weiden.

Der Artikel „The prevalence of anthropogenic nest materials differs between two distinct populations of migratory birds in Europe“ von Zuzanna Jagiello, Łukasz Dylewski, José I. Aguirre, Joanna T. Białas, Andrzej Dylik, Alejandro López‑García, Ireneusz Kaługa, Adam Olszewski, Joachim Siekiera und Marcin Tobółka wurde in „Environmental Science and Pollution Research“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

2023-06-26

Klimawandel verändert die Gelege von Vögeln

Eine weltweite Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt: Der Klimawandel hat weitreichende Konsequenzen und betrifft auch den Nachwuchs von Vögeln – in ganz unterschiedlicher Weise.

Der Klimawandel beeinflusst den Zeitpunkt der Fortpflanzung bei vielen Vogelarten, aber über den Einfluss auf die jährliche Fortpflanzungsleistung ist wenig bekannt. Eine kürzlich veröffentlichte, weltweite Studie unter Beteiligung der Vetmeduni liefert nun auf Basis einer Metaanalyse wichtige neue Daten.

Das Forschungsteam untersuchte Langzeitbrutdaten für den Zeitraum von 1970 bis 2019. Insgesamt 201 Populationen von 104 Vogelarten mit 745.962 Gelege auf allen Kontinenten fanden Eingang in die Studie. Im Durchschnitt sank die Zahl des Nachwuchses in den letzten Jahrzehnten, allerdings fanden die Forscher:innen erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Arten und Populationen: 56,7 % der Populationen (signifikant bei 17,4 %) produzierten weniger Nachkommen, wohingegen bei 43,3 % (signifikant bei 10,4 %) die Gelege größer wurden.

Einige Arten profitieren vom Klimawandel

„Die Ergebnisse zeigen, dass klimatische Veränderungen die Nachkommenproduktion beeinflussen“, so Co-Autor Marcin Tobółka vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni. Im Detail deuten die Analysen darauf hin, dass steigende Temperaturen vor allem auf wandernde, größere Arten negativ wirken, während sesshafte Arten mit kleinerem Körper von einem wärmeren Klima profitieren könnten.

Abnehmende Zahl an Vögeln liegt nicht an kleineren Gelegen

Da der Trend zu kleineren Gelegen nicht sehr ausgeprägt und zudem uneinheitlich ist, gehen die Forscher:innen davon aus, dass der weltweit rasche Rückgang der Vogelpopulationen nur zu einem geringen Teil auf Veränderungen der Zahl von Jungtieren zurückzuführen ist.

Der Artikel „The effect of climate change on avian offspring production: A global meta-analysis“ von Lucyna Halupkaa, Marcin Tobółka, Konrad Halupkagg et al. wurde in „PNAS“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

2023-06-21

Schlechte Sicht macht Kaulquappen vorsichtiger

Wenig Licht und trübes Wasser sind schlecht für die Sehleistung. Doch wie wirken sich solche Umweltbedingungen auf das Verhalten von Wassertieren aus? Eine soeben veröffentlichte Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien ging dieser Frage anhand von Kaulquappen nach. Demnach beeinflussen veränderte Umweltbedingungen das Verhalten der Froschlarven – eine wichtige Erkenntnis, vor allem wegen der Störung vieler natürlicher Lebensräume durch den Menschen.

In ihrer Studie untersuchte das internationale Forschungsteam das Verhalten von Kaulquappen zweier Pfeilgiftfroscharten. Ziel war es, den Zusammenhang zwischen Umgebungen mit eingeschränkter Sicht und der individuellen Reaktion auf wahrgenommene Risiken zu untersuchen.

Getestet wurden die Pfeilgiftfroscharten Dendrobates tinctorius – ein Frosch mit fakultativ kannibalischen Kaulquappen – und Oophaga pumilio – dessen Kaulquappen auf mütterliche Nahrungsversorgung angewiesen sind – in unterschiedlichen experimentellen Settings. Zunächst wurde die allgemeine Aktivität und Raumnutzung der Kaulquappen auf einem schwarz-weißen Hintergrund gemessen und dann entweder auf einem schwarzen oder weißen Hintergrund, auf dem die Kaulquappen visuellen Reizen potenzieller Räuber ausgesetzt waren.

Klare und weniger klare Auswirkungen

Die Auswirkungen der ursprünglichen Umgebung auf die Kaulquappen von Dendrobates tinctorius waren klar, so Studien-Letztautorin Bibiana Rojas vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni: „Kaulquappen die in einem dunkleren Ursprungshabitat aufwuchsen waren weniger aktiv, als Kaulquappen aus helleren Ursprungshabitaten und reagierten auf keinen der beiden visuellen Räuber mit gesteigerter Aktivität. Demgegenüber schwammen Kaulquappen aus einer helleren Ursprungsumgebung mehr, wenn sie mit potenziell feindlichen Artgenossen zusammen waren.“ Laut Rojas deutet das darauf hin, dass Kaulquappen visuell zwischen Raubtieren unterscheiden können. Unterstützung bekommt diese Hypothese auch durch die Ergebnisse mit Oophaga pumilio: Ihre Reaktionen auf die beiden visuellen Reize unterschieden sich nicht.

Deutlicher Beleg für den Einfluss von Umweltstörungen auf heranwachsende Tiere

Eine wesentliche Erkenntnis der Studie liegt darin, dass die Risikowahrnehmung bei Tieren situationsabhängig ist. Außerdem hat die Lichtqualität während des Heranwachsens einen wesentlichen Einfluss darauf, in welcher Form die Tiere auf Risiken in neuartigen Kontexten reagieren. „Da Tiere zunehmend gestörten Lebensräumen ausgesetzt sind, unterstreichen unsere Ergebnisse wie sehr Tiere, die auf ihr Sehvermögen angewiesen sind, auf plötzliche Umweltstörungen reagieren“, betont Bibiana Rojas.

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2023-06-13

Der weibliche Duft: ein Wachstumsturbo für junge männliche Mäuse

Werden weibliche Hausmäuse (Mus musculus) dem männlichen Uringeruch ausgesetzt, beschleunigt sich ihre sexuelle Entwicklung – die Wissenschaft nennt diesen Mechanismus Vandenbergh-Effekt. Diese positive Wirkung ist keine Einbahnstraße. Das fand nun eine soeben veröffentlichte Studie unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien heraus: Männliche Jungmäuse profitieren demnach von weiblichem Uringeruch durch beschleunigtes Körperwachstum.

In ihrer Studie testete das Forschungsteam, ob die Exposition junger männlicher Mäuse gegenüber dem Urin von Weibchen ihr Wachstum und die Größe ihrer Geschlechtsorgane beeinflusst. Dazu wurden drei Wochen alte männliche Hausmäuse 5x/Woche ein paar Tropfen weiblichem Urin über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg ausgesetzt, während es für die Kontrollgruppe nur normales Wasser war.

Stärkeres Wachstum, keine positiven Effekte auf Muskelmasse und Geschlechtsorgane

„Wir fanden heraus, dass die weiblichem Urin ausgesetzten Männchen deutlich schneller wuchsen und stärker zunahmen als die Kontrolltiere, obwohl alle Männchen mit der gleichen Menge Ernährung aufgezogen wurden“, so Studien-Erstautorin Sarah M. Zala vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni. Allerdings konnten die Wissenschafter:innen keine Unterschiede in der Muskelmasse oder den Geschlechtsorganen der Männchen feststellen. Und die Exposition jugendlicher Männchen gegenüber männlichem Urin hatte keinerlei Einfluss auf ihr Wachstum. Studien-Letztautor Dustin J. Penn vom KLIVV unterstreicht die Bedeutung der Studie: „Unsere Ergebnisse liefern nach unserem Kenntnisstand den ersten Beweis dafür, dass jugendliche männliche Mäuse ihr Wachstum beschleunigen, wenn sie dem Urin erwachsener Weibchen ausgesetzt werden.“

Vorteil ohne Nachteil: Keine schlechtere Immunresistenz

Weiters prüften die Forscher:innen, ob es einen evolutionären trade-off gibt, also das Erkaufen eines Vorteils durch einen Nachteil. Dazu untersuchte das Forschungsteam, ob das beschleunigte Wachstum der Männchen funktionelle Kompromisse bei der Immunresistenz gegenüber einer experimentellen Infektion mit sich bringt. Zu diesem Zweck wurden die männlichen Jungmäuse einem bakteriellen Krankheitserreger (Salmonella enterica) ausgesetzt. „Wir fanden keine Hinweise darauf, dass ein erhöhtes Wachstum negative Auswirkungen auf die Immunresistenz gegen Infektionskrankheiten hat. Bakterielle Clearance, Körpermasse und das Überleben während der Infektion entsprachen den Tieren aus der Kontrollgruppe“, so Dustin J. Penn.

Zugrundeliegende Mechanismen noch unklar

Die genaue Wirkweise des weiblichen Urins ist noch unklar, eine endokrin vermittelte Beschleunigung der Pubertät scheint jedoch denkbar. Als nützlich könnten sich die neuen Erkenntnisse für zukünftige Studien erweisen, die darauf abzielen, das Wachstum oder die sexuelle Entwicklung von männlichen Tieren mit natürlichen Methoden zu beeinflussen. Um mehr über die Funktionsweise zu erfahren, sind laut den Forscher:innen nun weitere Studien erforderlich. Dadurch ließe sich beispielsweise feststellen, ob und wie sich die Urinexposition von Weibchen auf das Wachstum und die sexuelle Entwicklung von Männchen in einem natürlichen Kontext auswirkt.

Der Artikel „Female scent accelerates growth of juvenile male mice“ von Sarah M. Zala, Brian Church, Wayne K. Potts, Felix Knauer und Dustin J. Penn wurde in „Scientific Reports“ veröffentlicht.

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2023-06-01

Sexuelle Selektion verändert die heißen Moves der Vogelbalz

Gut gekleidet und auf der Tanzfläche ein Hero – so machte John Travolta in „Saturday Night Fever“ Eindruck, auf der Kinoleinwand und beim Publikum. Bei Vögeln ist es ganz ähnlich: Ein attraktives Gefieder wirkt im Zusammenspiel mit akrobatischen Einlagen. Wie sich diese Balzvorführungen evolutionär entwickeln, untersuchte nun eine internationale Studie unter Beteiligung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni anhand des Manakins, einem in den amerikanischen Tropen verbreiteten Vogel.

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschafter:innen Variationen im ausgeklügelten Balzverhalten von Goldkragen-Manakins (Manacus vitellinus) und Weißkragen-Manakins (Manacus candei) und ihren Kreuzungen („Hybriden“). Sie konzentrierten sich dabei auf eine Hybridpopulation von einer kleinen Insel vor der Küste Panamas.

Balztanz schlägt genetische Ähnlichkeit

Dabei bestätigte sich zunächst, dass diese Vögel genetisch sowohl den Festlandhybriden als auch ihren Weißkragen-Manakin-Elternarten ähnlich ist. Danach analysierte das Forschungsteam den Balztanz. Dieser wird innerhalb eines durch kleine Schösslinge abgegrenzten Areals aufgeführt, welches das balzende Männchen vor seinem Tanz säubert („Jump-Snap-Routine“).

Die überraschende Erkenntnis: Hybride Männchen vollführten trotz ihrer genetischen Ähnlichkeit mit Weißkragen-Manakins wichtige Tanzmanöver wie Goldkragen-Manakins. Andere Elemente ihrer Tanz-Präsentation führten die Hybriden auf eine Weise aus, die sich entweder nicht von der ihrer Weißkragen-Manakin-Eltern unterschied oder ein Mix des Balztanzes beider Elternpopulationen war.

Modulare Evolution als Reaktion auf sexuelle Selektion

Doch warum ähnelt der Balztanz hybrider Männchen dem von Goldkragen-Manakins, obwohl der genetische Hintergrund eher mit Weißkragen-Manakins übereinstimmt? Die Studienautor:innen vermuten, dass ausgewählte Komponenten der Tanzroutinen von Goldkragen-Manakins durch Weißkragen-Manakins gezielt übernommen wurden.

Studien-Letztautor Leonida Fusani, Leiter des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni, erklärt diesen Vorgang evolutionär: „Wir stellen die Hypothese auf, dass eine solche modulare Evolution als Reaktion auf die sexuelle Selektion erfolgt, wodurch sich spezifische Komponenten der Tanzroutine des Vogels verschieben, um eine umfassende Veränderung seines funktionellen Erscheinungsbildes zu bewirken.

Kreuzungen helfen, die Entwicklung sexueller Merkmale besser zu verstehen

Ein Hauptziel der Evolutionsbiologie ist es zu verstehen, wie sexuelle Merkmale entstehen und sich zwischen Populationen verändern. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, sexuelle Merkmale bei eng verwandten Arten und ihren Hybriden zu untersuchen. Die nun im führenden Fachjournal „Animal Behaviour“ veröffentlichte Studie nützte diesen Ansatz, um die Entwicklung von ausgeklügelten Verhaltensdarstellungsmerkmalen zu untersuchen, die während der Braut-Werbung von Vögeln verwendet werden.

Der Artikel „Beyond plumage: acrobati c courtship displays show intermediate patt erns in manakin hybrids“ von Julia Barske, Matthew J. Fuxjager, Claudio Ciofi, Chiara Natali, Barney A. Schlinger, Tim Billo und Leonida Fusani wurde in „Animal Behaviour“ veröffentlicht.

Video vom Balzritual

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2023-05-11

Vögel und Biologger – auf die richtige Form und Position kommt es an

Biologger werden auf Vögeln häufig zu Forschungszwecken angebracht und sammeln wichtige Daten. Anhand des Waldrapps – einem vom Aussterben bedrohten Vogel – untersuchte ein Forschungsteam unter Leitung des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni nun im Windkanal den aerodynamischen Einfluss dieser Apparate. Dabei zeigte sich, dass sich die Geräte massiv auf den Energieverbrauch und die zurückgelegten Flugdistanzen auswirken. Durch aerodynamische Optimierung und die richtige Positionierung am Körper der Vögel lassen sich jedoch die nachteiligen Effekte deutlich reduzieren.

Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Biologgern auf die Aerodynamik und Hydrodynamik von Tieren. Das steht in deutlichem Kontrast zum intensiven Einsatz solcher Technologien bei wild lebenden Tieren. In letzter Zeit mehrten sich die Bedenken hinsichtlich der beeinträchtigenden Wirkungen dieser Geräte.

Während das Augenmerk lange ausschließlich auf Gewichtsreduzierung gerichtet war, untersuchten die Forscher:innen nun die aerodynamischen Effekte von Biologgern. Zu diesem Zweck wurden Waldrappe (Geronticus eremita) darauf trainiert, in einem Windkanal zu fliegen. Dabei wurden die Herzfrequenz und die dynamische Körperbeschleunigung (VeDBA; dynamic body acceleration) als Parameter für den Energieverbrauch in Bezug auf verschiedene Logger-Formen und Windströmungsrichtungen gemessen.

Der optimale Biologger: Hinten am Körper angebracht und aerodynamisch geformt

„Unsere Daten belegen, dass die Position von Biologgern die Flugdistanzen und die Form den Energieverbrauch erheblich beeinflussen. Ungünstige Form und Positionierung wirken sich nicht nur auf den Kraftaufwand beim Schlagflug aus. Der energetisch wahrscheinlich wichtigere Effekt besteht darin, dass die Geräte die Gleit- oder Höhenflugfähigkeit des Vogels beeinträchtigen und ihn so dazu zwingen, den energetisch viel anspruchsvolleren Schlagflug häufiger durchzuführen“, fasst Studien-Erstautorin Ortal Mizrahy-Rewald vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie die zentralen Studienergebnisse zusammen. 

Eine ergänzende Studie mit wilden Waldrappen während des Frühjahrszugs belegt, dass die Position der Geräte auf dem Rücken der Vögel die Länge der Flugetappen beeinflusst. „Vögel, die die Geräte oben auf dem Rücken trugen, hatten signifikant kürzere Flugphasen im Vergleich zu Vögeln mit einem weiter hinten positionierten Gerät“, so Ortal Mizrahy-Rewald.

Geringer Aufwand, um schädliche Wirkungen zu reduzieren

Durch eine konsequent aerodynamische Gestaltung des Gehäuses und eine verstärkte Berücksichtigung der Aerodynamik beim Anbringen des Gerätes lassen sich laut den Wissenschafter:innen schädliche Wirkungen mit geringem Aufwand reduzieren. Bei Vögeln ist die Befestigung von Biologgern über Beinschlaufen am unteren Rücken der üblichen Befestigung über Flügelschlaufen am oberen Rücken eindeutig vorzuziehen. Allerdings kann die Bedeutung eines verringerten Luftwiderstands variieren, da je nach verwendetem System die Vorteile eines Biologgers in der Nähe des Schwerpunkts den Nachteil durch den erhöhten Luftwiderstand überwiegen können.

Der Artikel „The impact of shape and attachment position of biologging devices in Northern Bald Ibises“ von Ortal Mizrahy‑Rewald, Natalie Winkler, Frederik Amann, Katharina Neugebauer, Bernhard Voelkl, Herwig A. Grogger, Thomas Ruf und Johannes Fritz wurde in „Animal Biotelemetry“ veröffentlicht.

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2023-05-08

Drohnen und Vogelschutz – ein zweischneidiges Schwert

Eine aktuelle internationale Studie unter Leitung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni untersuchte die Auswirkungen von Drohnenflügen zu Forschungszwecken bei Geiern. Die Forscher:innen kommen zum Schluss, dass unbemannte Flugsysteme deutliche Vorteile gegenüber anderen Untersuchungsmethoden bieten. Andererseits bestehen Risiken durch potenzielle Störeffekte am Brutplatz der Greifvögel. Die Wissenschafter:innen empfehlen deshalb den Einsatz von Drohnen mit Augenmaß.

Geier zählen weltweit zu den am stärksten bedrohten Vogelarten und spielen am Ende der Nahrungskette eine einzigartige Rolle innerhalb von Ökosystemen. Für die Wissenschaft sind sie deshalb von großem Interesse. Besonders der Einsatz von Drohnen entwickelt sich in ihrer Erforschung rasant. Gründe sind der technologische Fortschritt, die Erschwinglichkeit und die einfache Zugänglichkeit. Allerdings gibt es eine Reihe von Faktoren, die beim Einsatz der unbemannten Flugsysteme zu beachten sind, um insbesondere die sensible Phase der Fortpflanzung der Vögel nicht zu stören.

Gefährliche Wissenslücke dringend schließen

„Die verringerte Störung von Wildtieren ist das Hauptargument für den Einsatz moderner Beobachtungs- und Fototechniken mit Drohnen. Die große Unbekannte sind aber die Reaktionen der Tiere und das Potenzial für langfristige negative Folgen. Um diese gefährliche Lücke zu schließen, empfehlen wir dringend, den Einsatz von Drohnen bei Tieren in Gefangenschaft und in freier Wildbahn zu dokumentieren. Außerdem brauchen wir einheitliche Richtlinien zum Drohneneinsatz, um Störungen und Vogelreaktionen wissenschaftlich eindeutig zu interpretieren“, fasst Studien-Erstautor Richard Zink vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni die wesentlichsten Ergebnisse zusammen.

Sicher ist sicher: Dosierter Einsatz von Drohnen ratsam

Richard Zink plädiert außerdem für einen dosierten Einsatz von Drohnen: „Aufgrund fehlender Daten zu langfristigen Störeffekten treten wir für das Vorsorgeprinzip ein. Durch Beachtung einer Reihe von artspezifischen Empfehlungen lassen sich die potenziellen negativen Auswirkungen von Drohnen begrenzen und ihr Wert für das Naturschutzmanagement maximieren. Insbesondere sollten die physiologischen und langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit und den Fortpflanzungserfolg von Geiern Berücksichtigung finden.“

Konkrete Empfehlungen an die internationale Scientific Community

Vor allem die hohe Empfindlichkeit und das territoriale Verhalten der meisten Geierarten stellen laut den Wissenschafter:innen erhebliche Herausforderungen an den Einsatz von Drohnen. Generell raten die Expert:innen vom regelmäßigen Einsatz von Drohnen für Nestkontrollen während der empfindlichsten Brutphasen sowie bei schlechtem Wetter ab oder wenn potenzielle Fressfeinde der Küken in der Nähe sind. „Wir fordern kein Verbot des Einsatzes von unbemannten Luftfahrzeugen für die Geierforscher, treten aber ausdrücklich für eine sorgfältige Prüfung der Umstände und eine sorgfältige Dokumentation der Auswirkungen ein“, betont Richard Zink, der für die Studie gemeinsam mit seinen Co-Autor:innen die aktuelle wissenschaftliche Forschung zu den Reaktionen europäischer Geier und anderer vergleichbarer Arten auf Drohnen analysierte.
 

Der Artikel „Assessing the potential disturbance effects on the use of Unmanned Aircraft Systems (UASs) for European vultures research: a review and conservation recommendations“ von Richard Zink, Elena Kmetova-Biro, Stefan Agnezy, Ivaylo Klisurov und Antoni Margalida wurde in „Bird Conservation International“ veröffentlicht.

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2023-04-12

Stress in der Lachszucht, und wie man ihn verhindern kann

Stefan Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung forscht über die Verhaltensökologie und interessiert sich besonders für die Umweltfaktoren, die die soziale und Verhaltensplastizität bei hochsozialen Arten einschränken oder erleichtern. In einem neuen vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds - WWTF finanzierten Projekt "Implementing novel feeding strategies to improve animal welfare and the release success of commercial fish farms" wird er sich mit Stress bei Lachsen aus Aquakulturen beschäftigen.

Bei der Aquakultur oder Fischzucht geht es um die kommerzielle Aufzucht von Fischen zur Erzeugung von Nahrungsmitteln oder zur Rehabilitierung rückläufiger natürlicher Fischpopulationen. Die Verbesserung der Erträge und des Erfolgs kommerzieller Fischfarmen ist daher nicht nur von großer wirtschaftlicher Bedeutung, sondern verbessert auch den Erfolg von Wiederansiedlungs- und Erhaltungsprogrammen.

Eine der wichtigsten Fischarten, die in Fischfarmen gezüchtet werden, ist der Atlantische Lachs, der in freier Wildbahn stark bedroht ist. Der Erfolg von Fischfarmen hängt von der Produktion stressfreier Individuen ab, die in perfekter Verfassung sind, um qualitativ hochwertige Nahrung zu produzieren oder bei der Wiederansiedlung in der freien Natur erfolgreich zu sein. Ein Hauptproblem für Fischfarmen ist die Entscheidung, wie viel Nahrung während der Gefangenschaft zur Verfügung gestellt werden soll, was die Qualität des Fleisches, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit und den Erfolg bei der Wiederansiedlung bestimmt.

In einem neuen Projekt schlagen unsere Forschenden vor, neuartige Fütterungsstrategien in Fischzuchtbetrieben einzuführen, die das Wohlergehen und den Erfolg bei der Auswilderung von Fischen verbessern sollen. Es ist bekannt, dass sich die unbegrenzte Verfügbarkeit von Nahrung bei vielen Tieren, darunter auch Fischen, negativ auf die Fähigkeit auswirkt, Stress zu bewältigen. Überraschenderweise wird diese Tatsache bei der kommerziellen Produktion von Fischen nicht berücksichtigt, und sehr oft werden die Tiere ad libitum gefüttert (sie bekommen also so viel sie wollen). Fischprodukte, die von gestressten Tieren stammen, haben jedoch eine kürzere Haltbarkeitsdauer, und ein höherer Stress führt zu geringen Erfolgsquoten bei der Wiederansiedlung in freier Natur.

Das neue Projekt verfolgt zwei Ziele:

  1. Wir werden die Fütterbedingungen in mehreren Fischzuchtbetrieben in Schweden experimentell verändern, um zu untersuchen, wie die Verfügbarkeit von Nahrung die Stressreaktion beeinflusst.
  2. Wir werden Workshops organisieren und aktiv mit Vertretern von Fischfarmen in Schweden und Österreich sprechen, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine Überfütterung zu wirtschaftlichen Verlusten und Problemen bei Erhaltungsprogrammen führen kann.

2023-03-30