- Alumni-Porträts
Absolvent:innen der Vetmeduni als Interviewpartner:innen gesucht!
Verraten Sie uns mehr über Ihren Berufseinstieg, Ihre Stationen, Ihre (Um)Wege und Ihre Motivation. Unsere Studierenden und Leser:innen freuen sich, wenn Sie uns teilhaben lassen an Ihren Erfahrungen.
Wir freuen über Ihre Nachricht.
Unsere Alumni im Gespräch:
VETMED: Was hat Sie zum Veterinärmedizinstudium in Wien motiviert?
Claudia Lindh: Ich bin in Kärnten in der Nähe von Villach aufgewachsen. Ausschlaggebend für die Berufswahl waren mein Interesse an Pferden und mein Hobby Reiten, aber auch Wirtschaft hat mich interessiert. Heute kann ich diese beiden Neigungen gut verbinden. Tiermedizin war zunächst meine größere Passion und ich bin das Studium mit großem Idealismus angegangen. Ich war immer schon eher analytisch, fakteninteressiert und nerdy, wie man heute sagt. Ich habe schon immer viele verschiedene Bücher gelesen, von Zukunftsforschung bis zur Epidemiologie war alles dabei. Das Studium war super, aber der Beruf Tierärztin in der Praxis nichts für mich.
VETMED: Sie haben sich im Doktorat am Institut für Tierernährung interdisziplinär mit Ernährung, Immunologie und Public Health beschäftigt. Wie kam es zu dieser Spezialisierung?
Lindh: Ich bin sehr offen und neugierig. Ich würde mich gar nicht als Expertin in einem definierten Gebiet sehen. Das Neue war für mich immer das Interessante – ich bin da ein bisschen opportunistisch. Ich war zunächst Fan der Idee Pferdetierärztin zu werden, bin aber im Studium auf Nutztiere umgestiegen, weil es ein komplexes und interessantes Feld ist und ich die Leute mochte. Im größeren Rahmen hängen Nutztiere, Futtermittel, Lebensmittelversorgung und -sicherheit zusammen. Ich habe nacheinander und aufbauend in verschiedenen Projekten zu Futtermittelhygiene, Epidemiologie und Public Health gearbeitet. Zudem habe ich im Rahmen von Auslandspraktika in den USA, in Berlin, den Niederlanden und Schweden mit verschiedenen Methoden und Menschen gearbeitet.
VETMED: Schweden hat sie aber auch aus anderen Gründen gepackt, oder? Sie leben seit 2012 in Uppsala, haben sich beruflich verändert: Von der Assistant Professor an der Uni zur Produktmanagerin im Biotechnologieunternehmen.
Lindh: Stimmt! Ich habe 2010 meinen Mann kennengelernt und er ist zunächst für zwei Jahre mit nach Wien gekommen. Wir haben geheiratet und beschlossen, für die Familiengründung nach Schweden zu übersiedeln. Ich habe bei Boehringer Ingelheim angefangen, in dem kleinen schwedischen Spin-off Svanova, das Diagnostik für anzeigepflichtige Tiererkrankungen entwickelt. Da konnte ich mein epidemiologisches Wissen und meine analytische Ader gut einsetzen. Die Soft Skills habe ich auch in firmeneigenen Kursen weiterentwickelt, es gab Mentorship und viel Learning by Doing. Die kleine Firma war super für den Einstieg in die Unternehmenswelt, denn da kann man viel machen. Im Produktmanagement geht es um Kommunikation, Marktanalyse, die Verbesserung des Produkts mit F&E und Partnern, die beste Preisstrategie, man macht Ausschreibungen und vernetzt sich z.B. auf Konferenzen und Messen.
VETMED: Heute arbeiten sie bei DeLaval, einem Technologieanbieter. Wie kam es dazu?
Lindh: Ich habe mich initiativ dort beworben, weil ich fasziniert von der Idee war, direkt an der Melkmaschine Proben zu nehmen. Also noch im Stall Daten zu analysieren und Produktionskrankheiten rasch zu erkennen. Dort habe ich im Herbst 2017 als Produktspezialistin angefangen und bin jetzt seit fünf Jahren Business Development Manager. Sensoren, Automatisierung und Robotics waren für mich komplett neue Gebiete, aber ich habe mir das angelernt.
VETMED: Hat Sie die Ausbildung an der Vetmeduni auf Ihre verschiedenen Berufsbilder gut vorbereitet?
Lindh: Das Medizinstudium hat mein strukturiertes und analytisches Denken geschult und mir ein Grundverständnis für Physiologie und Diagnostik von Nutztiererkrankungen mitgegeben. Die Technologien für Bestandsmessungen und Precision Medicine steckten damals noch in den Kinderschuhen, sind aber heute sicher Lehr- und Forschungsthemen. Auch Kommunikation gehört zur Forscherinnenausbildung – dieses Skills-Set braucht man auch in der Wirtschaft.
VETMED: DeLaval ist eine weltweit tätige Firma mit 5000 Angestellten, die alles rund ums Melken und Stallmanagement anbietet, Lösungen für Verhaltensanalyse, Milchwirtschaft und Herdenmanagement. Was machen Sie dort als Business Development Managerin?
Lindh: Ich bin zuständig für Strategie und Innovation, beobachte also Markt Trends, die regionalen Mitarbeiter:innen und das Product Management geben mir Feedback, ich beobachte den Mitbewerb. Ich versuche Ziele im Business Development zu definieren und sie durch aktives Innovationsmanagement zu erreichen, vor allem erproben wir neue Technologien. Es geht darum zu entscheiden, was unsere Firma für unsere Kunden weiterentwickeln soll.
VETMED: Was ist Ihr Rezept für den konstanten Wandel und das Ergreifen immer neuer Chancen?
Lindh: Die Neugierde und Weltoffenheit für Neues waren wichtig – das habe ich, glaube ich, schon Zuhause mitbekommen. Ich habe die Digitalisierung auch privat immer begrüßt und genutzt. Beruflich geht es um ihren Nutzen in Kombination mit der traditionellen Landwirtschaft. Eine treibende Kraft für mich ist, Gutes zu tun – bei DeLaval mit innovativen Produkten, die im Betrieb funktionieren. Bei diesem praktischen Denken hilft mir mein Studium. Um erfolgreich in meiner Rolle zu sein, muss ich strukturierte, logische Schlussfolgerungen ziehen, also auch bei hoher Komplexität des Inputs zu einer Empfehlung kommen. Auch das wird im Studium durch den wiederholten Weg von der Analyse zur Diagnose geschult. Im Relationship Management mit Kund:innen, Kolleg:innen und externen Partner:innen hilft Logik nicht weiter, es menschelt. Es braucht die Möglichkeit, dass andere sich einzubringen können, zudem eine deutliche, strukturierte und leidenschaftliche Kommunikation, um Zug reinzubringen. Enthusiasmus ist wichtig für Überzeugungskraft.
VETMED: Was vermissen Sie an Österreich?
Lindh: Ich fühle mich in beiden Ländern Zuhause, aber Schweden ist geografisch weiter weg von anderen, als Wien. Oder Villach, wo du zum Abendessen nach Italien oder Slowenien fahren kannst. Dort habe ich mich zentraler gefühlt. Ich vermisse meine Familie, alte Freunde und die Berge. Uppsala ist aber eine Universitätsstadt, ich habe also neue internationale Freunde gefunden und wir haben auch eine Österreich-Community.
VETMED: Und was war in Schweden ungewohnt für Sie?
Lindh: Mein Mann hat mir stolz das Schloss von Uppsala gezeigt. Aber wenn man die Habsburger zum Vergleich hat... nun ja. Manche Traditionen gibt es hier nicht, wie etwa den Donauwalzer zu Silvester. Die Schweden sind anders sozialisiert, mehr auf die Gruppe ausgerichtet und das finde ich gut. In Kärnten sind wir ja sehr herzlich. In Schweden sind die Menschen reservierter, tauen erst ein bisserl später auf. Ich bin also mit meiner Art etwas exotisch. Mir hilft das auch im Geschäftsleben, weil ich recht aufmerksam und vielleicht auch etwa lustiger bin.
VETMED: Wo finden Sie Ausgleich?
Lindh: Bei meiner Familie mit den Kindern. Wir sind alle recht sportlich – gehen zum Beispiel langlaufen, wandern und reiten. Die Natur in Schweden ist sehr weitläufig und schön und bietet einen guten Ausgleich. Ich lese auch immer noch sehr viel.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Wollten Sie beide immer Tierärztinnen werden?
Melitta Neurauter: Wir sind beide damit aufgewachsen. Wir kennen das Rundherum von klein auf: im Stall helfen, melken, die Tiere versorgen – wir hatten zudem einen Hund.
Anna Wassermann: Ich wollte schon im Kindergarten Tierärztin werden. Ich bin ja auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen, zwei Onkel von mir sind Tierärzte.
VETMED: Wenn man eng zusammenarbeitet und gemeinsam ein unternehmerisches Risiko eingeht, muss man sich gut verstehen. Haben Sie sich schon im Studium kennengelernt?
Neurauter: Kennengelernt haben wir uns erst kurz vor der Gründung der Praxis. Der Amtstierarzt vom Bezirk Imst hat Leute gesucht, die im Ötztal die Betreuung von Großtieren übernehmen können.
VETMED: Wie haben Sie festgestellt, dass Sie gut harmonieren? Ergänzen Sie sich oder sind Sie sich besonders ähnlich?
Neurauter: Fachlich sind wir uns recht ähnlich. Wir arbeiten in eine gemeinsame Richtung, haben beide viel Intensivmedizin gemacht, operieren alles selbst von der Klaue bis zum Darmverschluss. Im Charakter sind wir unterschiedlich. Ich bin beispielsweise lauter, aber wir ergänzen uns wohl.
Wassermann: Stimmt, ich bin ruhiger, aber fachlich sprechen wir die gleiche Sprache. Wir haben uns auf einen Kaffee zusammengesetzt und bestimmte Fragen geklärt. Wir haben vermutlich viel Glück gehabt, weil wir uns gleich sympathisch waren.
VETMED: Was war rückblickend die wichtigste Frage beim gegenseitigen Beschnuppern?
Neurauter: Wie wir uns anteilig einbringen. Wir geben jede 50% bei Arbeit und Finanzierung – wir wollten beide immer gleich viel reingeben – und rausnehmen. Wir wechseln uns bei den Nachtdiensten ab. Tagsüber arbeiten wir getrennt, jede mit ihrem Dienstauto und haben abwechselnd das Diensttelefon mit. Die mit dem Telefon macht die Einteilung. Wir besprechen Fälle bei der Übergabe und machen größere Operationen gemeinsam.
So sind wir rund um die Uhr erreichbar – immer. Im Herbst und Winter wenn die Kälber zur Welt kommen, ist es intensiv. Da hatten wir 2024 in zwei Wochen jede Nacht einen Einsatz.
VETMED: Welche Bedeutung hat die Praxis in Längenfeld für die tierärztliche Versorgung im Ötztal?
Neurauter: Seit zwei Monaten haben wir eine Angestellte in unserem Team, sind also in Längenfeld zu dritt. Seither hat jede von uns einen Tag in der Woche frei. Vorne in Ötz gibt es noch eine Kollegin, die aber auch bald in Pension geht.
VETMED: Das Ötztal ist also tierärztlich fest in Frauenhand. War das bei Ihnen beiden je ein Thema: Dass man einer Tierärztin den Job nicht in allen Facetten zugetraut hat?
Wassermann: Das gab es vereinzelt. Landwirte, die am Anfang kritisch waren. Die meisten haben wir durch unsere Arbeit überzeugt. Ein paar wird es immer geben, die einer Frau die Großtierpraktikerin nicht zutrauen.
Neurauter: Unser Kundenstamm wächst jedenfalls. Zwei Vormittage und einen Nachmittag machen wir auch Kleintiere: Hunde, Katzen und Kaninchen.
VETMED: Für wieviele Tiere sind Sie im Ötztal zuständig? Wieviele Stunden arbeiten Sie pro Woche?
Neurauter: Das haben wir noch nie ausgerechnet.
Wassermann: Im Winter vermutlich 60 Wochenstunden, im Sommer schnaufen wir durch, weil die Tiere da auf den Almen sind – das ist unsere ruhige Zeit.
Neurauter: Wir betreuen vielleicht 9.000 bis 10.000 Schafe und Ziegen und 3000 Rinder.
VETMED: Sie haben Startkapital vom Land Tirol bekommen, um den Standort zu übernehmen. Was war alles zu tun und wie haben Sie das Unternehmerische gemeistert?
Neurauter: Wir mieten die Räumlichkeiten unserer Vorgängerin weiter an, haben die Ordination aber neu ausgestattet. Buchhaltung ist nicht per se unser Ding, aber wir haben uns eingearbeitet. Das war anfangs schwierig - ein Vorteil war sicher, dass wir beide davor in Gemischtpraxen angestellt waren.
Wassermann: Wo man die ganzen Sachen, Medikamente und so weiter bestellt, ist eine wichtige Frage. Marktkenntnisse aus der Praxis sind da ein unschätzbarer Vorteil.
Neurauter: Wir sind ja auch amtliche Tierärtzinnen. Die Fleischbeschau war für uns beide neu. Wie die Abrechnung funktioniert, lernt man nicht im Studium und bekommt es nicht gezeigt.
VETMED: Gab es sonst Überraschungen im Arbeitsalltag - am Übergang vom Studium in die Praxis?
Wassermann: Zuhause am Hof haben wir einiges mitgekriegt. Wir haben gewusst, worauf wir uns einlassen.
Neurauter: Wichtig ist, im Studium gute Praktika zu machen. Zehn Wochen an einem guten Platz, wo du auch hingreifen und etwas selber machen darfst, kann dich so weit bringen, dass du selber fahren kannst.
VETMED: Apropos fahren. Sie sind viel unterwegs. Im Gebirge, im Winter, auf Forststraßen, zu abgelegenen Almen.
Neurauter: Ich habe einen VW Caddy als Dienstauto.
Wassermann: Ich einen Mitsubishi Outlander. Das wichtigste ist der Vierradantrieb. Traktorfahren haben wir beide früh gelernt.
VETMED: Welche Aspekte Ihrer Arbeit mögen Sie am meisten?
Neurauter: Ich mag die Abwechslung. Man weiß nie, was einen im Dienst erwartet
Wassermann: Ich mag Orthopädie und Klauenbehandlungen
VETMED: Wie schalten Sie in der Freizeit ab?
Neurauter: Nach mehr als einem Jahr machen wir dank unserer Angestellten beide je zwei Wochen Sommerurlaub. Ich habe eine vierjährige Tochter und wenn mir Zeit bleibt, gehe ich gerne wandern, im Winter skifahren und lese.
Wassermann: Wir haben die Natur vor der Haustür und da gehe ich auch gerne wandern und spazieren.
VETMED: Wie möchten Sie die gemeinsame Praxis weiterentwickeln?
Neurauter: Wir haben einen weiteren Mitarbeiter in der Ordination, der in der Apotheke hilft. Ich freue mich, wenn sich unsere Zusammenarbeit so gut eingespielt hat, dass wir uns in blind aufeinander verlassen können.
Wassermann: Ein Raum für Operationen mit einer kleinen Station für Intensivpflege und zwei Einstellboxen, wären noch eine gute Sache.
VETMED: Was wissen die wenigsten Menschen über kleine Wiederkäuer?
Neurauter: Schafe haben einen starken Mutterinstinkt und boxen dich in die Ecke, wenn du nicht aufpasst. Ein Bergschaf hat schon mal 100 Kilo. Wenn sie das Lamm aber ablehnen, sind sie ebenso gnadenlos. Das kann man dann einer Ziege unterschieben, weil die nehmen alles (lacht).
Wassermann: Das ist einfach Berufsrisiko, aber uns ist noch nie was passiert. Die Landwirte kennen ihre Tiere gut und machen uns aufmerksam, welche man besser im Auge behält.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Wussten Sie immer schon, dass Sie Tierärztin werden wollen?
Constanze Antosch: Ich bin in der Stadt Salzburg aufgewachsen, aber es war tatsächlich früh und immer mein einziger Berufswunsch. Was für eine Tierärztin ich werden würde, da war ich vollkommen offen. Und wie sich später gezeigt hat, war das für mich ein Erfolgsrezept.
VETMED: Sie haben an der Vetmeduni nach der Promotion als Assistentin an der Klinik für Reproduktionsmedizin mit Kleintieren gearbeitet. Im Jahr 2000 nach Salzburg als Schlachthoftierärztin gewechselt. Wie kam das?
Antosch: Mir hat es an der Uni gut gefallen. Ich habe es geliebt zu unterrichten, der Kontakt mit Mensch und Tier hat mir immer Spaß gemacht. Ich hatte einen Vertrag für fünf Jahre, aber damals musste man nach 3,5 Jahren Bescheid sagen, ob eine Habilitation der nächste Schritt ist. Ich habe darüber intensiv nachgedacht. Eine wissenschaftliche Karriere braucht Spezialisierung. Da wird das persönliche Tortenstück der Themen ziemlich schmal und spitz. Ich bin zum Entschluss gekommen, dass ich das für mich nicht möchte. Parallel habe ich damals freiwillig das amtstierärztliche Physikat abgeschlossen.
VETMED: Wie viele Schlachthoftierärztinnen gab es damals in Salzburg?
Antosch: Ich war die erste. Mit der Ausbildung war für mich vieles denkbar und möglich. Im Physikat wurde mir klar, dass mich die größeren Zusammenhänge interessieren, dass ich teilhaben möchte am Umgang mit Seuchen und der Entstehung von Gesetzen, der Lebensmittelsicherheit und dem Tierschutz im internationalen Zusammenhang. Durch Zufall und relativ spät habe ich von der Stellenausschreibung erfahren. Bevor das in die Zeitung kommt, haben sich andere lange darauf vorbereitet. Ich musste aber meinen CV sowieso neu ausrichten. Beim Hearing war ich die einzige Frau, aber ich hatte durch die Vorlesungen Erfahrung darin, vor Leuten zu reden. Die Stadtväter waren vorsichtig, haben meine Besetzung aber wohl als geringes Risiko gesehen.
VETMED: Sie haben also weiße statt der schwarzen Gummistiefel angezogen und im Schlachthof mit einem Knochenjob begonnen. Das war zur Zeit der BSE-Krise. Hat man Ihnen als einziger Frau das Leben noch einmal schwerer gemacht?
Antosch: Die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung hat mich interessiert, aber Schlachthoftierärztin ist eher kein Wunschberuf, wenn man beim Magistrat einsteigt. Es war einfach die erste freie Stelle und für mich eine Möglichkeit mich zu verändern. Ich war von der Klinik gewohnt, dass man sich Termine mit mir ausmacht und habe quasi als Lehrling wieder angefangen. Ich bin relativ groß, aber das bestellte Arbeitsgewand – von Stiefel über Mantel bis Helm – war extra drei Nummern zu groß. Ich sah also von hinten aus, wie alle anderen. Es war körperlich anstrengende Arbeit und da wurde schon getestet, ob ich das packe. Es geht im Schlachthof sehr früh los, es ist eine Akkordarbeit, bei der man sehr wachsam sein muss, weil es sonst gefährlich wird. Wir waren in der ersten Reihe mit BSE konfrontiert, was lückenlose Dokumentation und scharfe Separierung erforderlich machte. Da wurde jede Hand gebraucht. Für Spielchen war keine Zeit. Die zwei Jahre waren heftig, aber ich habe dort eine Gemeinschaft erlebt. Im Schlachthof macht jeder seinen Job ohne große Unterschiede. Das Ergebnis muss passen und dafür kommt es auf alle an. Viele verpflichten sich auf Zeit, beißen rein, um sich ihren nächsten Schritt zu ermöglichen.
VETMED: Wie oft haben Sie einen starken Magen gebraucht?
Antosch: Jeden Tag. Ich bin sehr sportlich geworden und habe mir zudem erstmals Strukturen und Abläufe überlegt, um das Geschehen ein bisschen besser zu lenken. Nach meiner zweiten Karenz konnte ich die Sachbereichsleitung Lebensmittelaufsicht im Magistrat übernehmen. Das Jahr 2002 markierte einen Paradigmenwechsel in der Lebensmittelaufsicht durch neue EU-Regelungen und gleichzeitig gab es eine Pensionierungswelle bei der Lebensmittelpolizei. Ich habe diese planbaren Bundesaufgaben für mich als Nische identifiziert, also bin ich noch während der Karenz ein halbes Jahr zwischen Wien und Salzburg gependelt, mein Mann bei unseren kleinen Kindern, und habe die Prüfung für Lebensmittelkontrolle gemacht. Das war weit außerhalb meiner Komfortzone, hat sich aber gelohnt.
VETMED: Seit 2022 leiten Sie das Markt- und Veterinäramt, haben als Sachgebietsleiterin den vormaligen Leiter bereits seit 2017 vertreten. Was ist neu?
Antosch: Als Sachgebietsleiterin Lebensmittelaufsicht war ich die Taktgeberin. Als Amtsleiterin verantworte ich Lebensmittelaufsicht, Marktwesen und Tiergesundheit. In der kleinen Stadt Salzburg, wo ich nah an den Bürger:innen bin, aber eben auch Aufträge aus der Politik zugerufen bekomme. Wenn wir gut präventiv arbeiten, fällt unsere Aufgabenerledigung nicht auf. Anlassbedingtes Handeln, ausgelöst durch festgestellte Missstände oder unsichere Lebensmittel, steht in der Zeitung. Mir gefällt die Nähe zum Menschen durch den Konsumentenschutz und das Marktwesen mit der Anbindung an kleine Produzent:innen, aber auch Konzerne.
VETMED: Was macht Ihnen momentan Sorgen, worauf bereiten Sie sich vor?
Antosch: Wir müssen immer vorbereitet sein und einen Plan B in der Schublade haben. Um auf die nächste Seuche und Katastrophe vorbereitet zu sein, müssen wir wissen, was wir täglich tun und offen sein für Veränderungen - man braucht eine hohe Flexibilität. Es kann ein lebensmittelbedingter Krankheitsausbruch sein, oder eine Möwe fällt wegen Vogelgrippe vom Himmel. Derzeit ist Salzburg auch als Blauzungen-Krankheit Hochrisikogebiet eingestuft, hier ist besonders der innereuropäische Nutztierhandel betroffen. Wir stehen immer in Alarmbereitschaft.
VETMED: Was ist die Bedeutung von Qualitätsmanagement in Ihrem Bereich?
Antosch: Qualitätsmanagement gibt Arbeitssicherheit. Das Erstellen der Prozesse ist mühsam, aber wenn sie angenommen werden, regelmäßig aktualisiert und auch verschlankt werden, kommen wir zu guten Ergebnissen und können im Ernstfall reagieren und alles nachvollziehen. Wenn etwas passiert, ist bei uns klar, wer wo anruft, worüber wer informiert und wofür wer zuständig ist.
VETMED: Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Antosch: Die Arbeit meiner Mitarbeiter:innen ist meine Visitenkarte. Mir ist wichtig, dass ich weiß, was passiert. Meine Tür ist offen und es gibt keine blöden Fragen. Jeder muss wissen, was er tut und warum er es tut. Fehler passieren, aber sie werden analysiert. Wir brauchen einen intensiven Austausch in den Fachbereichen und eine Vertrauensbasis, damit alle offen sagen, was ihnen auffällt. Wir machen uns gemeinsam Gedanken und kommen auf gute Ideen.
VETMED: Hat Sie das Studium gut auf Ihre aktuelle Aufgabe vorbereitet?
Antosch: Ja! Ich hatte das große Glück, mich nicht sehr früh entscheiden und spezialisieren zu müssen. Kurz hatte ich die Idee, in einer Kleintierordination neben dem Schlachthof auszuhelfen, aber mit den vielfältigen Aufgaben im Tierschutz hätte es mich nicht mehr ausgefüllt, ein Meerschweinchen mit Hautpilz zu therapieren.
VETMED: Sie sind eine leidenschaftliche Seglerin. Wie wirkt das Hobby in den Beruf und was bietet es als Ausgleich?
Antosch: Wir segeln ein altes Holzboot ohne moderne Ausrüstung, das mindestens drei Leute als Besatzung und viel Aufmerksamkeit braucht. Die Mitsegler müssen mir als Skipperin vertrauen und die Aufgaben müssen klar verteilt sein, sonst laufen wir auf Grund. Und für mich ist es eine Befreiung, dass wir nach dem Ablegen mindestens drei Stunden telefonisch nicht erreichbar sind.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Ich frage es gleich ganz direkt: Leben Sie den Traum vieler „pferdeverrückter“ Mädchen in Österreich? Was machen Sie als Sachbearbeiterin im Österreichischen Pferdesportverband?
Angelika Sparer: Ja, ich denke schon. Ich habe wirklich jeden Tag mit der Pferde- und Reiterwelt zu tun. Wenn man Pferde für sein Leben gerne hat, ist man da sicher ganz anders motiviert. Für mich ist es nicht nur ein Bürojob. Ich bin in der Abteilung für Spitzensport für die Sparten Dressur, Paradressur, Springen und Vielseitigkeit zuständig. Wenn ein österreichischer Reiter oder eine Reiterin international starten möchten, geht das über meinen Tisch - alle internationalen Bewerbe, Championate, die Olympischen Spiele und Europa- und Weltmeisterschaften. In meinen Bereich fällt auch die NADA, also die Anti-Doping-Agentur - für Pferde und Reiter:innen, sowohl in der Prävention als auch, wenn es einen Fall geben sollte.
VETMED: Sind Sie für die Arbeit viel unterwegs?
Sparer: Es ist mehr ein Bürojob. Ich kümmere mich um das Pferd und den Reiter/die Reiterin, dass sie alles haben, was sie brauchen. Ich sehe zu, dass alle Unterlagen ordnungsgemäß eingereicht werden – ich bin für die sorgfältige Vorbereitung zuständig. Aber im August 2022 war ich zum Beispiel bei den FEI-Weltmeisterschaften im Pferdesport in Herning (Dänemark) als Betreuerin vor Ort. Wir hatten Starter:innen in vier Disziplinen. Es waren viele Leute vom Verband vor Ort und ich war dort als Troubleshooterin, die organisiert und den Überblick behält.
VETMED: Sie haben direkt nach dem Bachelor in Pferdewissenschaften 2019 beim OEPS angefangen? Warum haben Sie sich für das Studium entschieden? Hat Sie die Ausbildung an der Vetmeduni gut auf den Job vorbereitet?
Sparer: Mit 18 wusste ich zunächst nicht, wie ich weitermachen soll. Ich habe überlegt, was mir am meisten Freude bereitet und was mich interessiert. Das waren nun mal Pferde. In den Pferdewissenschaften lernt man alles rund um Anatomie, Krankheiten, Fütterung aber auch wirtschaftliche Aspekte. Eine 1:1 Vorbereitung auf meine Aufgaben war es nicht. Aber es hilft mir natürlich, dass ich weiß, worum es geht. Wir hatten zum Beispiel auch eine Vorlesung zur Organisation des Reit- und Rennsports: wie das aufgebaut ist und wer wofür zuständig ist. Die Bürokratie rundherum habe ich mir angeeignet.
VETMED: Wie haben Sie diese Stelle gefunden oder hat die Stelle Sie gefunden?
Sparer: Es war Glück dabei. Ich habe schon während der Bachelorarbeit sehr viele Initiativbewerbungen geschickt - wirklich an alle möglichen Stellen, die mir eingefallen sind. Der OEPS hat sich zurückgemeldet, dass sie die Sachbearbeitung ausschreiben würden, aber zuerst mit mir sprechen. Beim Vorstellungsgespräch hat alles gepasst und hier bin ich.
VETMED: Was braucht es noch außer Wissen über Pferdesport? Sie waren zuvor auch im Verkauf und in der Gastronomie tätig - wie profitieren Sie davon?
Sparer: Alles, was man gemacht hat, ist wichtig. Ich hatte einfach schon zuvor Kundenkontakt. Wenn man mit Menschen arbeitet, hilft es schon etwas mehr Selbstbewusstsein gesammelt zu haben - mit schwierigen Situationen umgehen zu können. Bei allem, was mit den Tieren zu tun hat, braucht man gute Nerven – da kann es emotional werden und man muss einen kühlen Kopf bewahren. Es wollen meist viele Leute auf einmal etwas von einem und da darf ich den roten Faden nicht verlieren. Es finden jedes Wochenende Turniere statt, wir haben immer gut zu tun. Die Championate sind im Juli und August – da ist Hochsaison. Aber die Organisation ist davor und mit gutem Zeitmanagement kann man dann auch auf Sommerurlaub fahren. Mein Kollege macht die anderen Sparten und wir vertreten uns gegenseitig.
VETMED: Waren Sie je ein Bibi & Tina-Fan?
Sparer: Nein. Meine Beziehung zu den Tieren basiert nicht auf verkitschten Büchern. Ich reite seit meinem 7. Lebensjahr. Wir haben in der Volksschule einen Ausflug in den Reitstall gemacht und ich bin hängengeblieben. Das war ganz in der Nähe meines Elternhauses. Begonnen hat es mit Reitstunden, dann im Stall aushelfen, im Sommer war ich beinahe täglich dort. Heute ist mein Altösterreichisches Warmblut im gleichen Stall eingestellt.
VETMED: Diese Rasse wurde ursprünglich in der Armee eingesetzt, habe ich gelesen. Beteiligen Sie sich selbst auch an Bewerben?
Sparer: Es ist ein reines Freizeitpferd. Er hätte wohl die Veranlagung, aber Turniere und Wettkämpfe habe ich selber nie gemacht. Ich reite mit Finley aus, wir machen Dressur, Springen, sind im Gelände und machen Bodenarbeit.
VETMED: Welche Rolle spielt Weiterbildung in Ihrem Beruf?
Sparer: Ich habe noch im Studium einen Pferdebesamungskurs gemacht. Also ich wüsste, wie das geht, aber in Österreich macht das immer ein Tierarzt/eine Tierärztin. Und nach dem Studium habe ich noch den aufbauenden Erste-Hilfe-Kurs mit Pferdesamariter und Pferdesanitäter gemacht. Das hilft im Job jedenfalls, um Fragen von Kund:innen zu beantworten zu Impfungen oder Untersuchungen vom Pferd.
VETMED: Können Sie sich vorstellen noch ein Veterinärmedizinstudium anzuhängen?
Sparer: Im Moment passt es ganz gut. Für die Zukunft ist nichts ausgeschlossen.
VETMED: Was gefällt Ihnen an Ihrem Arbeitgeber, dem Österreichischen Pferdesportverband?
Sparer: Der OEPS will den Sport vorantreiben, gerade auch im Nachwuchsbereich für bestmögliche Förderung von Pferd und Reiterin sorgen. Mir gefällt, dass trotz des Leistungssports das Tierwohl stark im Fokus steht. Das Pferd ist ein Sportpartner, kein Sportgerät.
VETMED: Man sagt, dass alles Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde liegt. Was machen Sie zum Ausgleich für die Büroarbeit?
Sparer: Neben reiten mache ich auch Yoga. Das ist für mich ideal, weil reiten auch viel Körperspannung und Anpassung an das Tier bedeutet und beim Yoga kann ich ganz loslassen und nur für mich sein.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Anfang 2021 haben Sie mit einem Kollegen eine Kleintierpraxis in Huttwil im Schweizer Kanton Bern übernommen. Im Oktober 2022 haben Sie eine zweite Praxis in Langenthal, 20 Autominuten entfernt, übernommen. Wie kam es dazu?
Christoph Payer: Mein Kollege Marc Schneider und ich haben uns in der Tierklinik in Chur kennengelernt, wo wir beide als Assistenztierärzte gearbeitet haben. Nach drei Jahren war es für uns Zeit, etwas Neues anzugehen. Wir hatten immer wieder darüber gesprochen, uns gemeinsam selbstständig zu machen, weil wir einander gut kennen und gut zusammenarbeiten. Wir haben uns verschiedene Praxisräume angesehen im städtischen und ländlichen Bereich. In Huttwil haben wir es uns – letztlich auch finanziell – zugetraut. Wir sind mit dem Vorgänger-Ehepaar gut ins Gespräch gekommen, hatten ein faires Angebot und sie arbeiten auch beide noch tageweise mit. Die Praxis in Langenthal haben wir vor zweieinhalb Jahren ebenfalls von einer Kollegin übernommen, die in Pension gehen wollte. Auch sie ist noch verfügbar für Kund:innen, die zu ihr kommen wollen.
VETMED: Warum haben Sie expandiert und wie organisieren Sie sich mit zwei Filialen?
Payer: Jeden Tag ist einer von uns an je einem Standort. Die beiden Praxen sind über die Praxis-Software vernetzt. Karteikarten waren früher. Abends treffen wir uns im Büro in Huttwil und sprechen uns ab, machen Buchhaltung und planen Operationen, die wir gemeinsam durchführen wollen. Wir sind nach und nach in die kaufmännischen Aufgaben eines eigenen Betriebs hineingewachsen – das lernt man nicht auf der Uni. Als Österreicher und Deutscher im Emmental wollten wir erst einmal sehen, wie wir hier ankommen. Wir sind es vorsichtig angegangen. Wir wollten noch etwas wachsen und haben jetzt eine gute Größe. Das wird es für uns einfacher machen, wenn wir den Betrieb übergeben wollen, ein attraktives Angebot zu bekommen. Aber das dauert noch. Weiteres Wachstum ist erst einmal nicht geplant. Wir beobachten übrigens denselben Trend wie in der Humanmedizin: Es ist schwierig Fachkräfte für den Einsatz außerhalb von Ballungszentren zu finden.
VETMED: Kleintier-Orthopädie und Weichteilchirurgie sind Ihre Spezialgebiete. Was bieten Sie noch an?
Payer: Ich habe keine spezielle Ausbildung für Chirurgie, wie den internationalen Fachtierarzt. Aber nach dem Studium habe ich außeruniversitäre Kurse belegt und bilde mich laufend weiter. Das machen auch andere Kleintierärzte. Ich aber arbeite gerne mit den Händen und habe ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Wir versuchen natürlich Wünsche bestmöglich zu erfüllen. Zudem haben wir Belegärzte für Spezialgebiete wie Augen und Interne Medizin - das macht meine Frau - und zwei weitere Chirurg:innen tageweise im Haus.
VETMED: Wie kam es dazu, dass Sie in der Schweiz arbeiten? Wurde Ihre Ausbildung anerkannt?
Payer: Ich bin nicht so ein heimatverbundener, tief eingewurzelter Mensch, wie mein Ausbildungsweg beweist. Am Ende des Studiums habe ich ein tolles Praktikum bei Thomas Schwarzmann in Vorarlberg gemacht und er hat mir die Stelle als Assistenztierarzt der Tierklinik Masans AG in Chur vermittelt. Ich dachte mir: Erfahrung im Ausland ist immer gut und jetzt bin ich seit 2017 h hier. Die Schweiz ist sehr tolerant und erkennt die Ausbildung aus EU-Staaten an. Aber es gibt weitere unterschiedliche Reglements je Kanton. In Bern brauchten wir für die eigene Praxis z.B. eine Haftpflichtversicherung.
VETMED: Ihr Ausbildungsweg wirkt etwas … sprunghaft. Sie sind in der Gegend von Oberwart aufgewachsen, waren in der Sporthauptschule, dann in Wien an der Fachschule für Chemie und dann sehr weit weg von Österreich. In Ihrer Familie arbeiten Eltern und Bruder als Apotheker:innen. Das war nichts für Sie?
Payer: In meiner Jugend hatte ich viele verschiedene Interessen, denen ich nachgehen wollte. Das war eine schwierige Zeit für mich. Nach der Pflichtschule hatte ich erst einmal genug und wollte den Kopf freibekommen. Auf einer vorhergehenden Reise mit meinen Eltern hatten wir eine Familie in Südafrika besser kennengelernt. Dort wollte ich ein halbes Jahr auf der Game Farm mithelfen. Sie haben mich aufgenommen wie einen 3. Sohn und ich habe bei der Eigenjagd für Antilopen mitgeholfen, ausländische Jäger als eine Art Wildhüter betreut. Es gab auch eine Löwenzucht für Arterhaltungsprogramme. Heute nennt man das „Gap Year“. Bei mir wurden es letztlich - mit Unterbrechung für den Grundwehrdienst - insgesamt fünf Jahre. Zuletzt war ich als eine Art selbstständiger Vorarbeiter auf verschiedenen Farmen tätig. Nach Europa zurückgekehrt, bin ich wegen eines Rugbyunfalls. Ich hatte mir den Unterschenkel gebrochen, wurde hier operiert und habe eine Reha gemacht.
VETMED: Was haben Sie mitgenommen, wie hat sie diese prägende Zeit verändert?
Payer: Die Zeit zwischen 16 und 21 war prägend und ich habe es genossen Erfahrungen zu sammeln. In diesem sehr großen Land mit vielen Arbeitssuchenden war die erste Frage immer: Welche Qualifikation hast du? Warum soll ich gerade dich einstellen? Ich war auf mich gestellt und habe dort den Ehrgeiz entwickelt, der mir geholfen hat meinen Weg zu finden. Mir war bei der Rückkehr klar: Jetzt muss eine Ausbildung her. Ich habe die Matura an einer landwirtschaftlichen Fachschule in Graz nachgemacht, dann drei Jahre in Wieselburg an der Höheren landwirtschaftlichen Bundeslehranstalt studiert, weil ich gerne mit Tieren zu tun haben und viel draußen sein wollte. Man könnte sagen, ich habe fünf Jahre „verloren“, aber im Studium der Veterinärmedizin waren viele Quereinsteiger – da habe ich das nicht so gemerkt. Als ich den Studienplatz bekommen habe, war meine Idee Großtierarzt zu werden. Es kam dann doch anders.
VETMED: Was war im Arbeitsalltag anders, als Sie es im Studium erwartet haben?
Payer: Der Beruf ist toll, abwechslungsreich und anstrengend. Er verlangt viel Flexibilität und Einfühlungsvermögen - das bekommt man im Studium nicht so beigebracht. Auch die schwierigen Gespräche, die man mit Besitzer:innen führen muss, waren an der Uni noch kein Thema. Das ist meines Wissens heute anders. Den eigenen Weg findet man nach dem Studium. Ich würde mich wieder selbstständig machen und wieder mit Partner. Man kann sonst kaum auf Urlaub gehen, auch Notfälle sucht man sich nicht aus, die kommen zu einem. Da hilft ein Kompagnon. Worauf ich stolz bin: Wir haben bei uns im Lehrbetrieb umgesetzt, was wir beide in der Klinik immer vermisst haben. Es wurde uns ganz oft versprochen, dass wir etwas selbst machen dürfen und dann hat es stets der Chef gemacht. Wir lassen unsere Assistenztierärzte ran und stehen ihnen zur Seite – wir geben ihnen die Sicherheit, es selber machen zu können. Theorie und zuschauen alleine, gibt einem diese Sicherheit nicht.
VETMED: Sie beherrschen Afrikaans für den Alltag. Wie sieht es mit Ihrem Schwyzerdütsch aus?
Payer: Ich spreche es ganz schlecht, aber ich verstehe es inzwischen gut. Die Leute hören natürlich, dass ich nicht aus der Gegend bin und fragen höflich nach, ob Berndeutsch in Ordnung ist. Manchmal falle ich dann in meinen Dialekt. Und das passt.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Wollten Sie immer schon Tierarzt werden?
Simon Kirchler: : Ja, schon von klein auf. Die Sommer habe ich als Kind immer auf einem Bergbauernhof verbracht, umgeben von Kühen, Katzen und Hunden. Meine erste Leidenschaft – vielleicht insgeheim immer noch mein Traum – war mit Affen zu arbeiten. Ich habe das in Fernsehdokus gesehen und das hat mich begeistert. Als Kind hat man ja nicht so realistische Vorstellungen. Meine Schwerpunktfächer habe ich eigentlich im Nutztierbereich gemacht. Die VetClinic Bozen, wo ich heute arbeite, ist auf Kleintiere spezialisiert. Zudem habe ich eine umfangreiche Zusatzausbildung für bildgebende Diagnostik gemacht, also Computertomographie, Ultraschall und Röntgen.
VETMED: Sie sind gebürtiger Südtiroler und praktizieren seit 2007 wieder dort. Warum haben Sie sich für ein Studium an der Vetmeduni in Wien entschlossen?
Kirchler: Im Vergleich ist die Ausbildung in Österreich praxisorientierter als in Italien. Vom Realgymnasium brachte ich die nötigen naturwissenschaftlichen Voraussetzungen und Latein mit. Mein Onkel, der ebenfalls Tierarzt ist, hat es mir so vermittelt: in Wien studieren, in Deutschland Praxiserfahrungen sammeln und dann nach Südtirol zurückkehren. Ich habe Schritt zwei ausgelassen, habe aber einige Wochen in Norwegen die klinischen Übungen absolviert. 2007 habe ich in der Tierarztpraxis von Dr. Georg Moser in Bozen angefangen. Dabei hat der Zufall eine große Rolle gespielt.
VETMED: Wie ist der Zufall wirksam geworden?
Kirchler: Die Tochter von Dr. Moser hat auch in Wien Tiermedizin studiert und ich war ihr Tutor. So habe ich erfahren, dass ihr Vater wieder einen neuen Assistenten für die Kleintierpraxis sucht, die er seit 1982 allein geführt hat. Er hat also schon damals extrem viel Erfahrung gehabt, von der ich profitieren konnte.
VETMED: Im Rückblick: Hat Sie die Ausbildung an der Universität gut auf den Beruf vorbereitet?
Kirchler: Jein. Es ist wie der Unterschied zwischen Fahrschule und alleine auf der Straße Auto fahren. Ich würde die ersten beiden Jahre in der Praxis noch als Lehrjahre bezeichnen. Ich war schon sehr nervös und hatte Schiss, als ich das erste Mal allein in der Ordination gestanden bin. Vielleicht ist das ein typisches Gefühl von mir, nie genug vorbereitet zu sein.
VETMED: Binnen vier Jahren sind Sie vom Assistenten in der eigentümergeführten Tierarztpraxis in Bozen zum gleichberechtigten Mitinhaber der VetClinic am neuen Standort geworden. Wie gelang dieser Rollenwechsel?
Kirchler: Die Ordination von Dr. Moser war in seinem Haus. Wir haben gleich gut zusammengepasst, waren als Assistent und Chef ein gutes Team und ich habe gemerkt, dass er mich sehr schätzt. Das ist in der Zusammenarbeit wichtig, weil man unter Umständen mehr Zeit miteinander verbringt als mit der Partnerin. Wir haben uns ohne Worte verstanden. Darüber haben wir fast verpasst, über die wichtigen Dinge zu reden. Irgendwann kommt für jeden Assistent der Moment, wo er mehr will – ich habe mich gefragt, wie ich weitermache. Er hat darüber nachgedacht zu vergrößern. Jeder für sich. Vom Angebot eine Kleintierpraxis in Brixen zu übernehmen, habe ich ihm dann erzählt. Am nächsten Tag hat er gesagt: Lass‘ uns zusammen eine moderne Praxis in Bozen aufziehen. Und so haben wir zu zweit an einem neuen Ort angefangen. Aktuell sind wir sieben Tierärztinnen und Tierärzte. Die Tochter Katharina Moser ist inzwischen auch in der Klinikleitung.
VETMED: Vom Angestellten zum Geschäftsführer, zuständig für die Klinikorganisation – das erfordert andere Fähigkeiten. Wie haben Sie den Umstieg geschafft?
Kirchler: Ich bin Naturwissenschaftler, kein Buchhalter. Aber etwas unternehmen und gründen steckt wohl in mir. Es hat mich interessiert, die Klinik zu modernisieren – von einer Homepage bis zu einer Hausapotheke. In das Zahlenwerk bin ich hineingewachsen. Kurse habe ich nicht besucht. Die Klinik läuft gut und wir sind ja schrittweise gewachsen.
VETMED: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in der VetClinic Bozen aus?
Kirchler: Wir versuchen das Unvorhersehbare so regulär wie möglich ablaufen zu lassen. Wir bieten einen 24-Stunden-Notdienst. Um 9:00 Uhr ist die Übergabe vom Nachtdienst und um 9:30 Uhr beginnen die Sprechstunden der Tagschicht. Nach der Mittagspause operieren wir und ab 16:00 Uhr gibt es wieder Sprechstunden. So haben wir es schon gemacht, als wir zu zweit waren. Wenn viel los ist, sind wir heute genug Leute, dass die Operationen früher, parallel zu den Sprechstunden, angesetzt werden können. Seit kurzem hat jeder von uns einen Nachmittag frei. Diese kleine Revolution hat Katharina Moser angezettelt (lacht).
VETMED: Die Technologie in der bildgebenden Diagnostik ändert sich rasch. Wie bleiben Sie dran?
Kirchler: Wir bieten seit 2011 Computertomografien an und da bewegt sich sehr viel – in Zukunft auch durch künstliche Intelligenz. Ich bilde mich regelmäßig weiter und beschäftige mich mit KI, die uns vieles erleichtern wird. Unsere Kund:innen fordern den neuesten Stand der Technik ein. Ich glaube, wer hier die ersten Schritte verpasst, wird vielleicht nicht mehr Schritt halten können.
VETMED: Welche Veränderungen beobachten Sie im tierärztlichen Tun noch?
Kirchler: Meine Verantwortung ist durch die Klinikleitung gestiegen, aber auch die Anforderungen der Kund:innen. Heute haben wir im Notdienst mehrere Anrufe und Visiten pro Nacht. Schwierig sind Tierbesitzer:innen, die ohne einen Notfall anrufen. Die Besorgnis kann ich nachvollziehen. Vergeudete Zeit und fehlender Schlaf hängen sich dennoch an. Ansonsten sehe ich es positiv: Wir sitzen in einem Boot und haben das gleiche Ziel. Heute haben wir neue spannende Möglichkeiten für Diagnose und Therapie. Die Bereitschaft, da mitzugehen und das zu finanzieren, ist gestiegen.
VETMED: Nebenbei haben Sie sich an mehreren Startups beteiligt. Was motiviert Sie dazu?
Kirchler: In mir ist einfach diese Unruhe – ich brauche immer wieder einen neuen Anreiz rund um meinen Beruf und will meine Kompetenz noch breiter einbringen. 2012 bin ich deshalb Vertreter in der Tierärztekammer geworden. Es waren bisher drei Startups, wobei aus zweien nichts geworden ist. Bei jedem habe ich ein Stück besser verstanden, warum es nicht funktioniert hat. Zuletzt habe ich „PetAlpin“ mitgegründet, ein hochqualitatives Nassfutter aus Südtirol für Hunde und Katzen. Meine Mutter hat ja auch zwei Hunde. Vor kurzem haben wir die Produktion in eine neue Halle verlegt und einen Investor gewonnen. Ich kann mich gut einbringen und es macht mir Spaß.
VETMED: Wo finden Sie Ausgleich und Entspannung?
Kirchler: Das Hundefutterprojekt sehe ich nicht als Arbeit. Meine Frau und meine beiden Mitgründer arbeiten daran, ich bin nur Berater bei der Produktentwicklung (lacht). Zum Entspannen gehe ich von den Kleintieren zum kleinen Wald. Ich habe etwa 50 Bonsais, viele Anzuchtpflanzen, einige schon fortgeschritten im Alter. In meinem Bonsai-Club gibt es viele, die das schon viel länger machen. Aber die kleinen Bäume und ihre Entwicklung machen mir große Freude.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Ihr Start ins Leben mit einem angeborenen Herzfehler war alles andere als einfach. Heute nehmen Sie in Beruf und Freizeit einige Strapazen auf sich. Wollten Sie Ihre Eltern nicht in Watte packen?
Helga Kausel: Sie haben es durchaus versucht, aber es hat nicht funktioniert. Statt zu basteln, habe ich mit Handball in der Schulmannschaft begonnen und das bis zur Bundesliga betrieben. Bis heute ist mein Herz nicht ganz dicht und die gespendete Herzklappe eigentlich überfällig. Aber es hält. Dass ich Tierärztin werden würde, war wenig überraschend. Ich bin im Garten meiner Oma in Seebarn mit Pferden, Hunden, Katzen und anderen geretteten Tieren aufgewachsen und habe von klein auf im Stall mitgeholfen. Neben dem Studium habe ich viel in Kleintierkliniken gejobbt, da wollte ich schon hinschmeißen. Aber bei den Übungen in der Pferdeklinik wusste ich: Das wird mich erfüllen.
VETMED: Seit 2009 arbeiten Sie mit Unterbrechungen in der Pferdepraxis Anham in Bayern. Hat Sie die Vetmeduni gut auf diesen Job vorbereitet?
Kausel: Das Pferdemodul bringt viel Praxisvorbereitung - davon träumen andere Studierende. Als ich meinen Mann kennengelernt habe, habe ich mir einen Job in Bayern gesucht, weil er dort studierte wollte und wir keine Fernbeziehung führen wollten. Als mobile Tierärztin bin ich Generalistin – mit einem Faible für Zähne und Koliken. Wenn es um die Arbeit im internationalen Umfeld geht gibt es Ausbildungsorte, die mit einer entsprechenden Lizenz abschließen.
VETMED: Gerade ist ihr Buch „Meine Patienten laufen Trab“ erschienen. Wie kam es dazu?
Kausel: Die Idee reicht schon viele Jahre zurück. Wir haben in der Pferdepraxis Silvester gefeiert und ich habe Geschichten aus dem Arbeitsalltag erzählt. Eine Freundin sagte: Du solltest ein Buch schreiben, also habe ich damit begonnen. Ich schreibe Tagebuch und habe den Entwurf immer weiter ergänzt. Aber es hat gedauert, bis ich den richtigen Verlag gefunden habe.
VETMED: Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Sie in das „um die Welt als tierärztliche Volunteer tätig werden“ ebenso hineingerutscht, wie in Social Media?
Kausel: Das erste Mal war ich 2011 bei einem vierwöchigen Praktikum in Washington State (USA). Ich hatte mich am Knie verletzt und war in Handball-Zwangspause, als eine Kollegin davon erzählt hat. Ich war im gleichen Jahr auch noch sieben Wochen in Afrika. Zwei Dinge haben mich fasziniert: Das auf mich selbst gestellt sein und mit Wildtieren bzw. Exoten zu arbeiten. Im ersten Praktikum habe ich mir mit dem medizinischen Englisch noch sehr schwergetan, aber mich hat der Ehrgeiz gepackt mit allem immer besser zurecht zu kommen.
VETMED: Und wo haben Sie gelernt, Ihre Arbeit für ein großes Publikum auf Social Media aufzubereiten?
Da bin ich Autodidaktin. Ich war immer die im Freundeskreis, die Fotos unterwegs und auf Partys gemacht und ins Netz gestellt hat. Diesen exhibitionistischen Zug, das Leben und den Alltag zu zeigen, habe ich einfach. Aus Neugier habe ich Instagram installiert, weil eine Freundin dort jeden Tag ihr Outfit gepostet hat und ich nicht glauben konnte, dass das funktioniert. 2015 war ich bereits in 50 Länder und habe dann dort die Reisen der Reihe nach gepostet. Das erste Bild, das viral ging, weil es ein Influencer repostet hat, war von einem Nashorn in Südafrika, das wir enthornt hatten. Ich habe schlagartig viele Follower:innen dazugewonnen und mein Profil auf @travelling_vet geändert. Es ging mir darum zu zeigen, dass Reisen und Tiermedizin auch neben dem Job möglich sind. Ich erkläre auch wie, zum Beispiel durch Verzicht auf Konsum.
VETMED: Was motiviert Sie, als Influencerin über die Arbeit als Tierärztin zu informieren bzw. damit zu unterhalten?
Kausel: Wenn ich immer nur eine Sache machen würde, wäre ich heute nicht dort, wo ich bin. Für mich war Tierschutz immer das treibende Motiv. Seit ich auf Instagram Geld verdiene, spende ich es, weil ich ja ein Einkommen habe. Mit einem Freund habe ich die Spendenaktion „Donate a Postcard“ für Follower:innen entwickelt. Gegen eine selbst definierte Spende verschicke ich eine persönliche Postkarte von meinem jeweiligen Einsatzort. Instagram macht mir Spaß, aber es nicht mein Beruf. Mich erfüllt es, Tiere zu retten. Ich bin nicht besonders ehrgeizig oder fleißig, mein Erfolg hat viel mit Glück zu tun, etwa in Österreich geboren zu sein. Damit will ich etwas Sinnvolles machen.
Ich bin eigentlich ein fauler Mensch. Aus @travelling_vet sind einige Podcasts entstanden, etwa weil sich meine Kund:innen in der Aufregung nicht merken, worauf sie nach der Behandlung achten sollen und mich anrufen. Ich habe also ein paar gesprochene Gebrauchsanweisungen z.B. was tun nach einer Kolik. Mit zwei befreundeten Tierärztinnen hoste ich „Die DiskuTIERärztinnen“, bei wild vets geht es um Wildtiere, bei „Dieses verkackte Gehirn“ um Depressionen.
VETMED: Hat Sie die viele Arbeit im Ausland zu einer kompetenteren Tierärztin gemacht?
Klausel: Ich habe mein Leben viel mehr zu schätzen gelernt, ich sehe schneller über unsere Problemchen hier hinweg und es fällt mir leicht, Geld in andere Lebewesen zu investieren und nicht in Handtaschen oder ein Auto. Was mich in meinen Job selbstbewusster gemacht hat, waren eher meine beiden Kinder.
VETMED: Woher nehmen Sie die Unerschrockenheit, in Peru Fischotter, Affe, Ozelot, Seekuh und Waschbär zu behandeln?
Kausel: „Panik und Übermut führen zum Tod. Angst und Mut retten dir dein Leben.“ Es ist mir wichtig, den ungeschönten Arbeitsalltag zu zeigen. Was man auf einem Foto nicht gleich sieht, ist die Planung: Durchzudenken, was einen erwartet, nicht zu viel riskieren bzw. Vorkehrungen zu treffen. Ich wurde schon nach dem gefährlichsten Tier gefragt und bleibe beim Pferd. Es hat viel Kraft die und Pferdetierärzte und -ärztinnen landen am häufigsten im Krankenhaus. Das liegt im lieben Haustierimage und dem Unverständnis dafür, dass in Extremsituationen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, also auch beim Tierarztbesuch. Es gibt kaum Verständnis etwa für eine Nasenbremse. Niemand würde bei einem Wildtier sagen: Der Löwe ist so lieb, den müssen wir nicht betäuben.
VETMED: Sie haben jahrelang im Urlaub freiwillig gearbeitet, verreisen jetzt mit ihren Kindern. Wann und wie erholen Sie sich?
Kausel: Nachts. Ich habe eigentlich nicht das Gefühl, dass ich besonders viel mache. Als Tierärztin mit Bereitschaft haben wir schnell einmal einen 50-Stunden -Job. Acht Stunden Schlaf sind mir sehr wichtig und ich versuche gut auf meinen Körper zu hören, wenn er eine Pause braucht.
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.
VETMED: Wollten Sie schon immer Veterinärmediziner werden, oder lieber Schriftsteller, oder beides?
René Anour: Ich war immer fasziniert von Wildtieren. Wann immer es ging, war ich draußen und habe beobachtet, was da so kreucht und fleucht. In Wien tut sich auch relativ viel und wir haben zwei Nationalparks in unmittelbarer Nähe. Über die Studienwahl war ich mir sehr sicher. Schriftsteller zu werden, stand damals nicht auf dem Plan. Fun Fact: Meine Schwester ist praktizierende Tierärztin. Wir hatten Haustiere, wie es im Kleinen eben möglich war: Wüstenrennmäuse, ein Aquarium, Wasserschildkröten.
VETMED: Worauf haben Sie sich im Studium spezialisiert?
Anour: Ich gestehe, dass ich zu Studienbeginn relativ unvorbereitet war. Ich hatte nur ein paar Studierende befragt, was sie da so machen. Die Vielfalt im Studium hat mir sehr gefallen und vor dem letzten Abschnitt wurden mögliche Schwerpunkte vorgestellt. Ein Professor mit „Indiana Jones Vibes“ und ein recht „typischer“ präsentierten gemeinsam Conservation Medicine mit den Aspekten Wildtiermedizin und One Health. Da wusste ich, dass ich genau das machen will.
Wir waren wenige Studierende und sehr gut betreut. Dort habe ich wissenschaftliches Arbeiten gelernt: kritisch mit wissenschaftlicher Literatur umgehen und sich methodisch korrekt an Dinge annähern. Wir haben vieles erstmals und gut begründet ausprobiert. Ich habe mich letztlich mehr beim Studiendesign gesehen als beim Besendern in der Pampa.
VETMED: Sie haben also gerne experimentiert und geforscht, die Universität aber letztlich in Richtung AGES verlassen. Wie kam das?
Anour: Während meines Doktorats habe ich im Bereich Pathophysiologie am vermeintlichen Langlebigkeitsgen Klotho geforscht, welches sich entgegen sensationellen Ankündigungen als wichtiges Regulationsgen in der körpereigenen Vitamin-D Produktion entpuppt hat. Ich war dafür auch für einen Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School in Boston im Labor. Letztlich war die Notwendigkeit für eine totale Spezialisierung, das Komplett-verhaftet-Sein in einem Thema, um sich durchzusetzen, für mich eher abschreckend. Ein Tutor von mir war an der European Medicines Agency und hat mir erzählt, was er dort alles macht, und das gefällt mir bis heute.
VETMED: Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag in der AGES-Medikamentenzulassung aus und was gefällt Ihnen daran?
Anour: Ich beschäftige mich nicht nur mit einer Krankheit, sondern mit unterschiedlichsten Therapieformen und Indikationen, die am Horizont auftauchen. Ich mag diese inhaltliche Breite. Mittlerweile mache ich Gremialarbeit als Vorsitzender einer europäischen Expert:innengruppe zu Biosimilars. Das ist eine Art Generika von komplexen biologischen Molekülen zum Beispiel Antikörpern. Um nach dem Patentschutz hoch wirksame, effektive und bis dahin sehr teure Wirkstoffe vor allem für chronische Erkrankungen nachzubauen, braucht es eigene Konzepte. Und diese Konzepte haben bereits dazu geführt, dass europäische Gesundheitssysteme Milliarden gespart und gleichzeitig – was mich besonders freut – Patient:innen in ganz Europa raschen Zugang zu diesen hochwirksamen Medikamenten bekommen haben. Zudem berate ich Firmen wissenschaftlich bei ihren Entwicklungsprozessen, wie sie ihre Studien designen. Und dann arbeite ich noch bei den europäischen Zulassungen und gebe eine Meinung ab, ob der Nutzen eines neuen Medikaments das Risiko überwiegt.
VETMED: Wie kam nun das Bücherschreiben in ihr Leben, mit dem Sie inzwischen sehr erfolgreich sind? Der erste Fall von Kommissar Campanard „Tödlicher Duft“ ist bereits erschienen, der zweite Fall folgt im Frühjahr 2025. Sie haben mit historischer Fantasy begonnen, eine historische Krimiserie verfasst und auch ein Sachbuch.
Anour: Ich habe die Theatergruppe an der Vetmed geleitet und da haben wir zu Weihnachten immer Sketchabende gemacht, die ich mitgeschrieben habe. Dann habe ich mit zwei Kollegen Kabarett gemacht – wir waren vetophil. Im Doktorat habe ich mit der historischen Fantasy angefangen und diese bei einem kleinen Verlag publiziert. Später wurde es dann professioneller mit Krimis bei zwei großen deutschen Publikumsverlagen. Es ist für mich ein Ausgleich, den Geist schweifen zu lassen, in den Flow zu kommen - meine Lieblingsfreizeitbeschäftigung, wenn ich allein bin.
VETMED: Wie entsteht so ein Krimi? Wann und wie schreiben Sie? Wie kommen die Protagonisten und Plots zu Ihnen?
Anour: Wenn ich eine Deadline habe, schreibe ich jedenfalls zwei Seiten morgens vor der Arbeit. Dann bin ich den ganzen Tag schon im Macher-Modus. Ich schreibe aber grundsätzlich, wenn es geht. Die Inspiration ist mein Leben, wenn ich mit Menschen spreche, werde ich berührt, interessiert, belustigt. Auf dem Kompost des eigenen Lebens, sage ich immer, wachsen die Geschichten. Viele Ideen habe ich im Moment vor dem Einschlafen, habe also ein Notizbuch am Nachtkasterl. Und meine Charaktere sind immer Mischungen von realen Personen, sage ich auch gleich dazu.
VETMED: Wie recherchieren Sie für Romane: wissenschaftlich akribisch oder mit Mut zur Lücke?
Anour: Die medizinischen Fakten müssen stimmen, das wäre mir sonst wirklich peinlich. Die historischen Fakten as good as it gets. Während ich bei der Recherche genau bin, soll die Geschichte unterhalten, in eine Zeit, an einen Ort, in ein Setting hineinziehen und die Fakten am besten ganz unaufdringlich mitliefern, damit es nicht belehrend wirkt.
VETMED: Sie werden als Experte immer wieder von Medien befragt. Welche Bedeutung messen Sie Wissenschaftskommunikation bei?
Anour: Das Thema emotionalisiert mich unglaublich, weil das leider oft sehr stiefmütterlich behandelt wird. Ich bin nicht mehr wissenschaftlich tätig, halte es aber für einen zentralen Aspekt dieser Arbeit. Ich glaube daran, dass alle Themen verständlich vermittelt werden können und die wissenschaftlichen Fakten und Zusammenhänge müssen noch besser rüberkommen als die Geschichten von Verschwörungstheoretikern.
VETMED: Theater, Kabarett, TV-Auftritte, Lesungen: Sind Sie eine Rampensau? Stehen Sie gerne auf der Bühne oder vor einer Kamera.
Anour: Ich mache das gerne für ein Thema oder eine Tätigkeit, die mir wichtig sind. Nicht als Selbstzweck.
VETMED: Gibt es Wechselwirkungen oder Überschneidungen zwischen ihren beiden Talenten und Leidenschaften?
Anour: Überschneidungen gibt es immer wieder. Einmal hat ein Kongressveranstalter bei einer Fachkonferenz in Prag direkt nach meinem Vortrag plötzlich die tschechische Übersetzung meiner Krimis herausgezogen und mich vor dem Auditorium als Autor vorgestellt. Ich werde aber nicht weniger ernst genommen, weil ich auch als Autor tätig bin, was mir wichtig ist. Ich finde Lesungen schwieriger, wenn ich über meine Geschichte spreche und mir dabei denke: Du müsstest über etwas Gescheites, Wichtiges, Faktisches sprechen.
VETMED: Was lesen Sie gerne? Und wie geht es mit dem Schreiben weiter?
Anour: Der zweite Fall von Commissaire Campanard für den Heyne Verlag erscheint im Frühjahr 2025 und ich bereite für 2025 einen schräg-witzigen Krimi beim Rowohlt Verlag vor, über einen Tierarzt, der aus Tierliebe Morde begeht. Leider geht das viele Schreiben auf Kosten des Lesens. Aber die „Achtsam Morden“- Serie meines Verlagskollegen Karsten Dusse finde ich ganz herrlich.
VETMED: Hatten Ihre Eltern bei der Namenswahl eine künstlerische Karriere im Kopf?
Anour: Ich werde oft nach meinem echten Namen gefragt, weil die Leute denken, ich verwende ein Pseudonym. Dabei habe ich keine französischen Wurzeln. Mein Vater kommt aus Ägypten und meine Mutter aus Oberösterreich – und diese Mischung machts.
VETMED: Können Sie sich vorstellen, den Brotjob aufzugeben?
Anour: Ich find es wichtig einen richtigen Beruf zu haben und er macht mir Spaß.
Außerdem: Wo kommt dann der Kompost des Lebens her?
Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.