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  • Absolvent:innen im Porträt

Unterwegs mit der kleinen fahrenden Klinik

Judith Piegger schloss 2013 ihr Studium der Veterinärmedizin an der Vetmeduni ab. Heute betreibt sie eine Fahrpraxis für Wiederkäuer im Bezirk Innsbruck Land. In ihrem Auto mit Kühlapotheke ist sie drei Tage die Woche unterwegs auf Almen und in Ställen der Umgebung. Da sie in einer Tiroler Milchwirtschaft aufgewachsen ist, erlebte sie bei Dienstantritt am Land kaum Überraschungen. Mundpropaganda, Vernetzung und der Beweis, dass sie es wirklich kann, helfen im Umgang mit der Kundschaft.

Steckbrief:

  • FACHGEBIET: Wiederkäuer

  • POSITIONSBESCHREIBUNG: Großtierpraktikerin mit Fahrpraxis in Tirol

  • DERZEITIGER STANDORT: Bezirk Innsbruck Land

Das VETMED Magazin (Ausgabe 3-4/2022) hat Judith Piegger interviewt. Lesen Sie mehr weiter unten (bitte ausklappen).

VETMED: Wussten Sie immer schon, dass Sie Tierärztin werden wollen? 

Judith Piegger: Seit ich vier oder fünf Jahre alt war, war das mein Berufswunsch. Ich bin auf einem Bauernhof mit Milchkühen aufgewachsen. Wenn der Tierarzt kam, war das immer ein Highlight für mich. Das Ineinandergreifen von Landwirtschaft und Medizin fasziniert mich bis heute.

VETMED: Sie arbeiten seit Oktober 2016 als selbstständige Großtierpraktikerin im Bezirk Innsbruck Land. Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag bei Ihnen aus oder gibt es genau den gar nicht?

Piegger: Jeder Tag ist unterschiedlich, spontane Einsätze sind in der Nutztierpraxis gang und gäbe. Genau das mag ich daran. An meinen Praxistagen starte ich mit den Visiten um halb sieben Uhr morgens und fahre bis Mittag. Um 15 Uhr beginnt die Nachmittagsrunde, bis wie lange es halt geht, meist 20 oder 21 Uhr. Im Winter dauern beide Runden meist länger, weil da die meisten Kalbungen sind und die Anfahrt schwieriger ist. Der Sommer ist meist ruhiger und da springe ich dann gerne für Kollegen ein. Seit einem Jahr bin ich Mutter und fahre daher nur noch drei Tage die Woche und jedes dritte Wochenende. Sonst vertritt mich mein benachbarter Kollege.

VETMED: Haben Sie ein Spezialgebiet?

Piegger: In der Fahrpraxis mache ich alles. Am liebsten mag ich Geburten und Operationen. Dafür habe ich alles in meinem Auto. Ein VW Caddy mit Allrad und Zimmermann-Apotheke samt Kühlung, Besamungskübel und mobilem Ultraschall.

VETMED: Sie waren davor in einer Tierklinik in Tirol angestellt. Was hat Sie dazu bewogen sich selbständig zu machen?

Piegger: Ich war schon immer der Typ, der selbst eine Praxis aufbauen möchte. Das habe ich auch während der Anstellung gespürt. Aber ich konnte in der Klinik auch viel lernen und mir erste Kontakte zu Betrieben aufbauen. Beides hat Vor- und Nachteile. Ich bin eben gerne meine eigene Chefin.

VETMED: Hat Sie die Ausbildung gut auf alle Aspekte des Arbeitsalltags vorbereitet?

Piegger: Das Studium hat mich gut vorbereitet, am meisten natürlich die praktischen Übungen und Praktika. Wer an einem Fachgebiet interessiert ist, sollte sich auf diese Art gut darin umschauen und mitfahren. Ich bin im bäuerlichen Umfeld aufgewachsen und wusste daher, wie die Kund:innen ticken. Ich bekomme selbst viele Anfragen von Studierenden, die mich begleiten wollen. Ich fürchte, wenn ich da einmal zusage, habe ich 365 Tage jemanden im Auto sitzen. Damit warte ich lieber noch etwas. Mich hat mein Nachbartierarzt und Kollege viel mitgenommen. Ich will damit sagen: Vernetzung ist wichtiger, als Konkurrenzdenken.

VETMED: Was war die größte Überraschung in der Praxis?

Piegger: In der Zeit als angestellte Tierärztin hatte ich auch manchmal das Kleintier-Nottelefon und habe mich sehr oft gewundert, mit welchen Problemen die Kleintierkunden mitten in der Nacht den Tierarzt kontaktieren, meistens waren es keine Notfälle, sondern Erkrankungen, die schon seit Wochen bestanden und auch während der Ordinationszeiten behandelt hätten werden können.

VETMED: Ihr Kollege mit der Kleintierpraxis im Ort hat eine Webseite. Brauchen Sie das nicht?

Piegger: In der Nutztierpraxis in Tirol gibt es keine Sprengel mehr. Sehr viel läuft über Mundpropaganda. Ich hatte in der Selbstständigkeit rasch genug zu tun, war ausgelastet und möchte die Betriebe gut betreuen. Der Kundenkreis ist ja recht überschaubar im Vergleich zum Kleintierbereich, also brauche ich keine Webseite, um neue Kund*innen anzusprechen.

VETMED: Welche Erwartungen haben Sie an den Beruf gehabt und wie hat sich im Vergleich dazu die Realität entpuppt?

Piegger: Es ist ein schon ein bisschen anders, als ich das als Fünfjährige erwartet habe. Da hatte ich anfangs sicher eine rosarote Brille auf. Die praktischen Probleme, die auf einen zukommen, sieht man nicht. Etwa wie man Beruf und Familie vereinbart, wenn das erste Kind kommt. Auch der Umgang mit den Tierbesitzer:innen. Im Umgang mit den Menschen gab es sicher mehr Überraschungen, als im Umgang mit den Tieren.

VETMED: Lassen sich denn Ihre Arbeitszeiten gut mit dem Familienleben vereinbaren?

Piegger: Ich habe Glück mit meiner Großfamilie: zwei Omas, ein Opa und mein Mann unterstützen mich. Sie sind ja in der Landwirtschaft und daher viel Zuhause. Wie ich es jetzt eingerichtet habe, ist es für mich ideal. Das kann ich gut schaffen.

VETMED: Immer mehr Frauen arbeiten als Tierärztinnen. Wurden Sie stets einfach so in diesem Berufsbild akzeptiert?

Piegger: Manche waren Frauen in der Nutztierpraxis noch nicht so gewöhnt. Bei meiner ersten Geburt kam die Bäuerin aus dem Haus und hat mich gefragt, wo mein Chef ist. Mittlerweile überwiegt das positive Feedback. Für die Jüngeren ist es schon ein vertrauterer Anblick. Man muss halt beim ersten Mal bei jedem Kunden beweisen, dass man es auch kann. Dass ich z.B. auch eine Gebärmutterverdrehung mit geeigneten Hilfsmitteln in den Griff kriege.

VETMED: Worin liegt für Sie der Reiz der Tätigkeit als Großtier-Landärztin?

Piegger: Es ist abwechslungsreich und ich kann mit wenigen Mitteln viel bewirken. Für eine Geburt brauche ich meist nur zwei Hände und gesunden Menschenverstand. In der Kleintierpraxis braucht man viel mehr Hilfsmittel und ich schätze die Verbindung von Landwirtschaft und Medizin. Ich berate ja auch darüber, wie man mit Fütterung und Pflege, mit Prävention, den Bestand gesund erhält. Ich habe also stets ein gemeinsames Ziel mit den Landwirt:innen.

VETMED: Sie wohnen auf einem Bauernhof mit Milchwirtschaft im Nebenerwerb. Wie trennen Sie da Arbeit und Privatleben?

Piegger: Normal bin ich für Trennung der beiden Bereiche, aber in einer Landwirtschaft ist das unmöglich. Ich kenne es nicht anders. Manchmal genieße ich es die Kühe einfach nur zu melken, statt zu untersuchen.  Die Tage ohne Rufbereitschaft sind mein Privatleben. Aber wenn eine Kuh bei uns etwas hat, rufe ich auch keinen Kollegen an.

VETMED: Die Vetmeduni begegnet dem Mangel an Tierärzt:innen am Land mit einer neuen Außenstelle in Tirol. Welche weiteren Ideen haben Sie, um den Nachwuchs zu begeistern?

Piegger: Die Außenstelle ist eine super Idee. Die Studierenden können dort früh in den Beruf hineinschnuppern. Ich fürchte aber, dass der Mangel eher ein gesellschaftliches Problem ist. Berufe mit Nacht- und Wochenend-Diensten sind generell nicht mehr so beliebt. Es gibt immer weniger Bereitschaft körperlich und mehr als gefordert zu arbeiten. Viel verdienen mit wenig Aufwand spielt es in dem Beruf nicht. Ich hätte es manchmal auch gerne bequemer und weniger dreckig und frage mich, was ich mir da ausgesucht habe…

VETMED: Zum Thema Leben am Land: Was ist ein Klischee und wie ist es wirklich?

Piegger: Das Klischee ist, dass alle im Dirndl herumrennen. Und in Wirklichkeit gibt es überall solche und solche Leute. Je höher oben, also in Höhenmetern, desto lockerer sind die Menschen übrigens.

 

VETMED: Danke für das Gespräch!

(Das Interview hat Astrid Kuffner für VETMED Magazin geführt.)





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