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10.12.2021: Mit einem neuen, sogenannten Dynamischen Endoskop sind Diagnosen in der Bewegung möglich. Das VETMED Magazin hat für diese Untersuchung Pferdeinternistin Jessika-M. Cavalleri auf die Rennbahn Freudenau begleitet.

Ein leichtes Vibrieren unter dem Rasen kündigt das herangaloppierende Pferd an, das zwischen zwei schulterhohen Hecken vorbeizieht. Auf seinem Rücken eine zierliche Reiterin, den Blick nach vorn gerichtet. So weit ein normaler Besuch auf der Rennbahn. Doch ohne Zieleinlauf stoppt die Reiterin das Pferd, dreht sich zu einer Personengruppe am Rand der Rennbahn um und ruft: „Hat alles gepasst?“ Rennpferd Thunderbolt, liebevoll Schnucki genannt, absolviert gerade kein Training oder Rennen, sondern wird tierärztlich untersucht – mitten im Galopp, denn dort zeigt sich ein bisher nicht aufgedecktes gesundheitliches Problem, das ihn an seiner Rennpferdkarriere hindert. „Als Perspektive wäre für Thunderbolt das Österreichische Derby in Frage gekommen“, sagt Trainerin und Rennjockey Hana Jurankova vom Rennstall Freudenau. Der dreijährige Hengst hatte zuvor in Deutschland ein gutes Rennen als Sieger bestritten und war im Anschluss nach Österreich verkauft worden.

Kraftverlust auf der Zielgeraden

Im Training zeigte der Hengst jedoch nicht die vorherige Leistung. Dem neuen Besitzer, Tierarzt Christian Tanczos, und Trainerin Hana Jurankova fielen beim Galoppieren ein Atemgeräusch sowie vermehrtes Luftholen auf. Die Auffälligkeiten waren verbunden mit einem Kraftverlust. „Normalerweise beschleunigen die Rennpferde auf den letzten 400 bis 500 Metern vor dem Zieleinlauf noch einmal ordentlich“, sagt Tanczos. „Thunderbolt konnte jedoch keine Kraft aufwenden.“

Ob in der Vergangenheit ähnliche Probleme schon einmal auftraten, war Tierarzt und Trainerin nicht bekannt. Beim Ankauf waren durch eine tierärztliche Untersuchung die wichtigsten Aspekte gecheckt worden. Eine erneute Analyse der Blutwerte zeigte keinerlei Auffälligkeiten und schloss Infektionskrankheiten aus. Schritt, Trab und Galopp sowie eine orthopädische Untersuchung waren ebenfalls unauffällig.

Tiefpunkt nur im Training?

Tierarzt und Trainerin entschieden, Thunderbolt in einem Rennen laufen zu lassen. „Manche Pferde gehen den Trainingsalltag, der durch Aufwärmen in der Schrittmaschine, Ritte und Kaltführung am Morgen sowie Aufenthalte auf der Koppel am Nachmittag gestaltet ist, eher gemütlich an“, so Tanczos. „Erst im Rennen laufen sie dann zu ihrer Höchstform auf.“ Doch auch dort konnte Thunderbolt sein Tempo nicht halten.

Um der Ursache für das Atemgeräusch und die Probleme beim Zieleinlauf auf die Spur zu kommen, entschied Tanczos, Pferdeinternistin Jessika-M. Cavalleri aus der Universitätsklinik für Pferde zu konsultieren und eine sogenannte dynamische Endoskopie durchzuführen. Dabei kann abgeklärt werden, ob die Ursache in den oberen Atemwegen liegt oder von tieferen Strukturen ausgeht. Kurz gesagt, ob der Kehlkopf oder die Lunge der Auslöser ist.

Atmung im Lauf untersucht

Nach einer Allgemeinuntersuchung inklusive Temperaturmessung, Abhören, Abtasten sowie Maul- und Nasenkontrolle legte das Team um Cavalleri Thunderbolt ein Spezialhalfter an und platzierte das Endoskop durch die Nüstern vor dem Kehlkopf des Pferds. „Gleichzeitig legten wir ein EKG am Hals an, um Krankheiten des Herzens abzuklären, die auch leistungsmindernd sein können“, so Cavalleri. Mittels Smartphone-App wird das EKG des Pferds direkt aufs Handy übertragen und angezeigt. Das Bild der Endoskopiekamera wird auf ein gesondertes Empfangsgerät übertragen. Ein letztes Mal prüfte das Team den Sitz des dynamischen Endoskops, dann ging Thunderbolt auf die Rennbahn. Tierärztin Cavalleri beobachtete genau die Veränderungen des Bilds auf dem Empfangsgerät während des Testlaufs.

Dynamik des Rennens

Danach war der Befund klar: Eine Dorsalverlagerung des Gaumensegels lag vor, durch die das Pferd zu wenig Luft bekam und ein schlotterndes Atemgeräusch zeigte. „Da Thunderbolt noch recht neu im Stall war, wurde der Verkauf rückabgewickelt“, berichtet Besitzer Christian Tanczos. Für ein Leben als normales Reitpferd hat die Diagnose keinerlei Auswirkungen. „Sogar Springen oder Dressur sollten uneingeschränkt möglich sein, denn üblicherweise macht sich diese anatomische Besonderheit nur während der Galopparbeit im Rennen bemerkbar“, so Cavalleri.

Im Gespräch: Jessika-M. Cavalleri, Pferdeinternistin

Wann und warum wird eine Endoskopie an den Atemwegen durchgeführt?

Jessika-M. Cavalleri: Schon seit vielen Jahren ist mittels Endoskopie im Ruhezustand eine visuelle Untersuchung der Atemwege beim Pferd möglich. Über ein flexibles Endoskop werden die Bilder der Strukturen der oberen und tiefen Atemwege auf einen Bildschirm übertragen und untersucht. Studierenden und BesitzerInnen erklären wir die Befunde direkt anhand der Bildübertragung.

Was ist neu an der dynamischen Endoskopie?

Cavalleri: Sie nutzt die gleiche Technik wie die Endoskopie in Ruhe. Lichtquelle, Computer sowie die Stromversorgung waren dabei bisher Limitationen. Durch Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten ist es inzwischen möglich, eine Endoskopie auch mit einem mobilen Gerät durchzuführen. Hierbei wird das Endoskop – in der Länge geeignet zur Beurteilung der oberen Atemwege, insbesondere des Rachens und Kehlkopfs – an einem speziellen Halfter befestigt. Ebenso die Lichtquelle. Durch die leichte Bauweise und Fixation am Halfter kann das Endoskop Aufnahmen vom Kehlkopfbereich während der Belastung machen.

Wie erfolgt die Auswertung der Untersuchung?

Cavalleri: Gespeichert werden die Aufnahmen auf einem USB-Stick, der später am Computer ausgelesen werden kann. Durch kabellose Übertragung auf einen mobilen kleinen Monitor kann das Bild optimal eingestellt und die Qualität der Aufnahme überprüft werden. So kann man korrigieren, wenn etwa durch eine veränderte Kopfhaltung die Sicht auf die interessierenden Strukturen nicht mehr gegeben ist. Die Pferde tolerieren die Untersuchung erstaunlich gut und stören sich während des Reitens normalerweise nicht an dem Instrumentarium. Einzig das initiale Einführen empfinden sie als unangenehm.

Text: Stephanie Scholz

Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 03/2021