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Universität

Forschungsmethoden der Zukunft

Aus VETMED 03/2018 - Der Forschungsschwerpunkt des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) liegt in der Verhaltensökologie, der Untersuchung von Wechselwirkungen von Verhalten und Umweltfaktoren. Im Gespräch mit VETMED berichten Leonida Fusani, Leiter des KLIVV, und Walter Arnold, Sprecher des Departments für Integrative Biologie und Evolution sowie Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI), über die Gegenwart und die Zukunft von Verhaltensforschung.

VETMED: Was sind in der heutigen Zeit die Aufgaben einer Einrichtung wie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV)?

Leonida Fusani: Wien ist in den letzten Jahren ein Schwerpunkt für Verhaltensforschung und organismische biologische Forschung geworden. Das KLIVV hat eine bedeutende Historie, die bis zur Gründung durch Otto und Lilli Koenig zurückgeht. Heute ist das KLIVV mit anderen Forschungseinrichtungen in Wien und weltweit durch Forschungsprojekte sehr gut vernetzt.

Walter Arnold: Im Bereich der molekularbiologischen Forschung hat Wien international schon lange eine herausragende Stellung. Ein ähnliches Potenzial Wiens als Standort im Gebiet der organismischen Biologie hat der Rat für Forschung und Technologieentwicklung in den frühen 2000er-Jahren erkannt und daher die Empfehlung gegeben, die Zusammenarbeit in diesem Bereich zu stärken und Institutionen zusammenzuführen. Mit der Integration des KLIVV in die Vetmeduni Vienna, der Schaffung des Department 5, der Gründung der Österreichischen Vogelwarte sowie der Berufung von Professor Leonida Fusani sowohl an die Vetmeduni Vienna als auch an die Universität Wien wurde diese Forderung durch die Vetmeduni Vienna erfüllt.

Fusani: Unser Ziel ist, auch in Zukunft dieses Potenzial weiter zu stärken. Der Forschungsstandort Wilhelminenberg soll mit dem KLIVV attraktiv für WissenschafterInnen aus der ganzen Welt sein. Bereits jetzt haben wir eine sehr gute Infrastruktur, wie unsere Aquarien, Volieren oder Labore, zu bieten und unsere Forschung ist international anerkannt.

Was kann man sich unter verhaltensbiologischer Forschung vorstellen?

Arnold: Für die Vetmeduni Vienna ist der Forschungsschwerpunkt in der organismischen Biologie, Physiologie und Evolution international gesehen ein Alleinstellungsmerkmal. Anders als andere veterinärmedizinische Bildungsstätten beschränkt sich die Vetmeduni Vienna nicht nur auf klinische Forschung. Es gibt einige Institute, die sich, ebenso wie unser Department, intensiv mit dem Verhalten von Tieren beschäftigen. Hier geht es nicht zuletzt auch um die Verbindung und Kommunikation zwischen der Grundlagenforschung und veterinärmedizinischen Forschungsfragen.

Fusani: Das KLIVV und seine Arbeitsgruppen gliedern sich, grob gesagt, in vier Bereiche: Sexuelle Selektion, Vogelzug, Domestikation und Molekulargenetik. Beforscht werden unterschiedliche Tiergruppen, wie etwa Wildhausmäuse, Fische oder Vögel. Letztere wurden nicht zuletzt durch die Gründung der Österreichischen Vogelwarte am KLIVV im Jahr 2014 ein besonders wichtiger Forschungsbereich. Generell kann zwischen Feldforschung, sprich Untersuchungen im natürlichen Lebensraum, sowie im Labor stattfindender Forschung unterschieden werden. Für die Feldforschung gibt es zusätzlich Außenstellen. Eine betreiben wir selbst in Seebarn in Niederösterreich. Wir haben aber auch eine intensive Kooperation mit der biologischen Station in Illmitz (Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel), die ein historischer Stützpunkt für die Erforschung des Vogelzugs ist. Auch in anderen Ländern wie Panama, Italien, Marokko oder Australien führen wir Freiland- oder Feldprojekte durch.

Arnold: Das FIWI wiederum zeichnet sich durch Grundlagenforschung in einem breiten Spektrum an größeren Säugetieren und jagdbaren Tieren aus. Die Erkenntnisse aus dieser Forschung zu den Bedürfnissen von Wildtieren und deren Veränderung im Jahresverlauf bringen wir in sehr anwendungsorientierte Fragen ein, wie etwa „Wie schaffen wir es, Wildtiere in der Kulturlandschaft zu integrieren?“. Der große Pluspunkt unseres Departments ist, dass wir interdisziplinär arbeiten.

Fusani: Genau, das inkludiert neben Biologie auch Disziplinen wie Genetik, Endokrinologie oder Biochemie. Konrad Lorenz und der Niederländer Nikolaas Tinbergen haben als Begründer der modernen Verhaltensforschung deren wesentliche Bereiche definiert: Verursachung, Entwicklung, Anpassung und Evolution von Verhalten. Wir bearbeiten am KLIVV all diese Kategorien an einer Vielzahl von Modellarten und beziehen Aspekte vom Embryo bis zum erwachsenen Tier mit ein.

Wie haben sich die Forschung und die technischen Möglichkeiten verändert?

Fusani: Beide Institute setzen stark auf moderne Forschungsmethoden und innovative Technologien. Insbesondere telemetrische Aufnahmen von Tierbewegungen sind für uns spannend und wichtig. Wir haben in Österreich begonnen, ein Netz von Antennen zu errichten, mit dem wir den Vogelzug lokal besser erforschen können. Auch an der Initiative ICARUS des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell, Deutschland, das mittels einer Antenne an der internationalen Raumstation Tiere ab 100 g Gewicht auf der ganzen Welt orten kann, sind wir beteiligt.

Arnold: Telemetrische Messmethoden sind auch am FIWI seit Jahren ein Herzstück der Forschung. Wir haben eine eigene Technikabteilung, die telemetrische Geräte entwickelt und die wir weltweit vertreiben. Mit Hilfe dieser Technologie lassen sich nicht nur die Bewegungen und das Verhalten von Tieren lückenlos dokumentieren, sondern gleichzeitig auch physiologische Parameter wie die Herzschlagfrequenz als Maß des Energieumsatzes der Tiere oder die Körpertemperatur am freilebenden Tier kontinuierlich über lange Zeiträume messen.

Fusani: Am KLIVV haben wir außerdem unterschiedlichste Einrichtungen für Experimente unter naturnahen Bedingungen, wie etwa ein 16.000 Liter fassendes Ring-Aquarium. Für die Zukunft haben wir ein neues Projekt mit Hühnervögeln geplant, für das gerade ein neues Vogelhaus entsteht, in dem wir zum Beispiel eine spezielle Umgebungstemperatur gewährleisten können, um so die Erforschung des Vogelzugs im Labor zu ermöglichen.

Warum ist Verhaltensforschung auch für die Veterinärmedizin wichtig?

Arnold: Üblicherweise haben biologische Fakultäten Institute für Verhaltensforschung, aber auch in der Veterinärmedizin gibt es sehr wichtige Anwendungsgebiete, wie zum Beispiel Seuchen oder Zoonosen, also vom (Wild-)Tier auf den Menschen und Haustiere übertragbare Krankheiten.

Fusani: Im Bereich Zugvogelforschung war zum Beispiel vor einiger Zeit das Influenza-A-Virus H5N1, der Erreger der umgangssprachlich als „Vogelgrippe“ bezeichneten aviären Influenza , sehr relevant. Hier gilt es zu erforschen, wie so ein bedeutsames Virus überhaupt weltweit verbreitet wird. Die Frage, welche Rolle dabei Wildvögel und ihre weltweite Migration spielen, lässt hier klar die Verbindung zwischen klinischer Veterinärmedizin und Vogelzugforschung erkennen. Seit 2016 haben wir eine Kooperation mit der Parasitologie, bei der wir Blutproben und Zecken von Zugvögeln im Ausland sammeln und der Frage nachgehen, wie Zugvögel Krankheiten transportieren und verbreiten können.

Arnold: Ähnliches gilt aktuell für die in Osteuropa grassierende afrikanische Schweinepest, die sich derzeit nach Westeuropa ausbreitet. Wildschweine stellen das natürliche Erregerreservoir für diese immense Bedrohung der Schweineproduktion dar. Zur effektiven Bekämpfung dieser Seuche brauchen wir ein besseres Verständnis der allgemeinen Biologie des Wildschweins, insbesondere welche Faktoren für die Populationsdynamik, also die Größe und Verbreitung von Populationen, ausschlaggebend sind. Andere zoonotische Erkrankungen, wie die Tuberkulose (TBC), sind direkt für den Menschen gefährlich. TBC ist immer noch eine ganz wichtige, im Wildtierreservoir – bei uns vor allem bei Rothirschen – vorhandene Krankheit, die für die Tier- und auch für die Humanmedizin von hoher Relevanz ist. Anhand solcher Beispiele sind klar die Verbindungen zwischen einer sehr biologischen organismischen Grundlagenforschung, der Veterinärmedizin, aber auch der praktischen Anwendung erkennbar. Und zwischen diesen verschiedenen Forschungsrichtungen braucht es Kommunikation, die wir hier an der Vetmeduni Vienna umsetzen.

Zur Person

Leonida Fusani

Leonida Fusani studierte und arbeitete in Italien, Großbritannien, Deutschland und in den USA. Seit 2014 ist Fusani Professor für Tierphysiologie mit Schwerpunkt Ornithologie an der Vetmeduni Vienna sowie dem Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien. An der Vetmeduni Vienna leitet er das Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) mit der Abteilung für Ornithologie sowie die neu gegründete Österreichische Vogelwarte/Austrian Ornithological Centre (AOC). Als studierter Biologe ist er auf der Suche nach den evolutionsbiologischen Ursprüngen des Verhaltens.

Walter Arnold

Walter Arnold promovierte 1986 am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie und habilitierte 1992 im Fach Zoologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1993 bis 1995 war er Professor für Zoologie an der Philipps-Universität Marburg. Seit 1995 ist Arnold Professor für Wildtierkunde an der Vetmeduni Vienna sowie Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI). Von 2011 bis 2016 leitete Arnold das Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV), seit 2011 ist er Sprecher des Departments für Integrative Biologie und Evolution. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Zusammenhang von Ökologie und Physiologie, saisonale Anpassung, Winterschlaf und biologische Rhythmen sowie Verhaltensökologie und Thermoregulation.

Lexikon der Verhaltensforschung

Ethologie (klassische Verhaltensforschung) ist ein von Konrad Lorenz geprägter Begriff zur Bezeichnung der wissenschaftlichen Erforschung tierlichen wie menschlichen Verhaltens, die Verursachung, Entwicklung, Anpassung und Evolution von Verhalten mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht.

Modellorganismen sind Organismen, die spezifische Charakteristika und Vorzüge aufweisen, aufgrund derer sie für wissenschaftliche Fragestellungen von Interesse sind und einen einfachen experimentellen Zugang zur Untersuchung von bestimmten Einzelaspekten ermöglichen.

Sexuelle Selektion ist eine Form der Selektion auf die bereits Charles Darwin als separat von der Evolution durch natürliche Selektion hinwies. Die sexuelle Selektion wird zur Erklärung der Entstehung von sexualdimorphen Signalstrukturen wie Prachtkleidern (Paradiesvögel), Geweihbildungen und anderen sekundären Geschlechtsmerkmalen herangezogen.

Verhaltensökologie beschäftigt sich mit den ultimaten Ursachen des Verhaltens unter Berücksichtigung der ökologischen Rahmenbedingungen. Dabei wird gefragt, warum ein Tier ein bestimmtes Verhalten zeigt, das heißt, welchen Überlebenswert ein bestimmtes Verhalten mit sich bringt, und folglich, welche Selektionsfaktoren eine Rolle spielen. Durch den Einsatz mathematischer Methoden und Modelle wird versucht, Verhalten zu quantifizieren und verständlich zu machen.