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Universität

Kein Widerspruch: Big Data und Veterinärmedizin

Aus VETMED 02/2020 – Die Bedeutung der Forschung in Krisenzeiten ist enorm. Innerhalb kürzester Zeit werden ExpertInnenteams aufgestellt, Wissen wird zwischen unterschiedlichen Fachbereichen ausgetauscht, neue Kooperationen etabliert. Die Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie arbeitet an Projekten, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt dem Feld der Veterinärmedizin zuordnen würde.

„Die COVID-19-Pandemie führt uns vor Augen, dass das Zusammenwirken vieler Disziplinen und AkteurInnen für eine schnelle Reaktion essenziell ist. Sie verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, vorhandene Erfahrung, Wissen und bewährte Strukturen gezielt auszubauen und an neue Herausforderungen anzupassen“, erklärt Annemarie Käsbohrer, Leiterin der Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie der Vetmeduni Vienna. Gesagt, getan. Seit Beginn der Corona-Krise bringen sie und ihr Team das Fachwissen der Abteilung unermüdlich in gesellschaftsrelevante Projekte zur Bewältigung dieser Krise ein.

One Health: Herausforderungen gemeinsam meistern

Der Großteil der Krankheitserreger kann sowohl Mensch als auch Tier infizieren. Und: Mensch und Tier sind Teil eines gemeinsamen Ökosystems. Im One-Health-Kontext arbeiten deshalb unter anderem ExpertInnen aus den Bereichen Veterinärmedizin, Humanmedizin, Landwirtschaft und Umwelt eng zusammen. Gemeinsam werden Anstrengungen unternommen, die Ausbreitung neuer Krankheitsgefahren zu verhindern und bestehende zu bekämpfen.
Dies bedeutet auch, epidemiologische Daten (etwa zu Fallzahlen oder Risikofaktoren) und Labordaten (wie zu Erregern oder zur Immunantwort) unterschiedlicher Herkunft miteinander zu verknüpfen. Durch Analysen von zum Teil sehr großen Datensätzen – Big Data – können komplexe Zusammenhänge besser verstanden und Risiken frühzeitig erkannt, verhindert oder angemessen bekämpft werden.
Im One-Health-Kontext spielen Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die zwischen Menschen und Tieren übertragbar sind, eine große Rolle. Auch Vektorenkrankheiten, die von Tieren auf Menschen durch Vektoren wie Zecken oder Mücken übertragen werden können, etwa die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), sind Zoonosen. Epidemien wie SARS oder MERS haben bereits gezeigt, dass ein Virus – auch aus der Familie der Coronaviren – von einem Wildtier auf den Menschen überspringen kann, so wie es aktuell der Fall ist. Wenn ein derartiges Virus in weiterer Folge auf eine „empfängliche Population“ wie den Menschen trifft und sich anpasst, kann es sich sehr schnell ausbreiten. Zusammen mit der Globalisierung und der Mobilität unserer Gesellschaft sind dies ideale Bedingungen für eine weltweite Verbreitung wie bei der COVID-19-Pandemie. In Situationen wie diesen gilt es, strukturiert und disziplinübergreifend an Lösungen zu arbeiten.

Daten sammeln, strukturieren und verfügbar machen

Als Reaktion auf den Ausbruch der Corona-Krise konzentriert man sich am Complexity Science Hub Vienna (CSH) auf jene Arbeitspakete, die in dieser Ausnahmesituation von großer Relevanz sind. Zwei Forscherinnen der Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie bringen sich dabei intensiv ein: Amélie Desvars-Larrive und Beate Pinior.

Complexity Science Hub Vienna (CSH)

Der Complexity Science Hub Vienna hat sich zum Ziel gesetzt, Big Data zum Wohle der Gesellschaft zu nutzen – anhand der systematischen Aufbereitung großer Datenmengen können mithilfe von Simulationen die Auswirkungen von Entscheidungen im Voraus, aber auch rückblickend, getestet und bewertet werden.

The Complexity Science Hub COVID-19 Control Strategies List (CCCSL)

Weltweit wurden bzw. werden unterschiedliche Kontrollstrategien von Regierungen implementiert, um die Ausbreitung und Einschleppung des neuen Coronavirus einzudämmen. Diese Interventionen werden oft unter sich schnell ändernden, unklaren Bedingungen beschlossen und haben enormen Einfluss auf die Wirtschaft sowie auf das Privatleben und die Bewegungsfreiheit der BürgerInnen. Es ist daher sehr wichtig, diese Maßnahmen aufzuzeichnen und deren Auswirkung mit der Anzahl der Infektionsfälle, Todesfälle und der täglichen effektiven Reproduktionszahl in Relation zu setzen. So kann länderspezifisch die Effizienz der Maßnahmen bewertet werden.
Unter der Leitung von Amélie Desvars-Larrive bauten ForscherInnen des Complexity Science Hub mit Studierenden und Freiwilligen die bisher umfassendste Datenbank international umgesetzter, nichtpharmazeutischer (nichtmedikamentöser) Interventionen auf: The Complexity Science Hub COVID-19 Control Strategies List (CCCSL). „Bei der Bewältigung derartiger Krisen gilt es, so schnell wie möglich Informationen nutzbar zu machen und in die Einschätzung der Entwicklungstendenz und Bewertung von Maßnahmen einzubeziehen“, erklärt Desvars-Larrive. In diesem Sinne wurden erste Ergebnisse bereits Anfang April 2020 veröffentlicht, um im weiteren Verlauf regelmäßig aktualisiert zu werden.

 

Optimaler Restart der Wirtschaft

Die möglichen wirtschaftlichen Folgen der Krise auf die Gewinnung und Bereitstellung von Lebensmitteln und anderen Gütern sind von großer gesellschaftlicher Relevanz. In dem vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) geförderten Projekt „Optimaler Restart der Wirtschaft“ des Complexity Science Hub widmet sich ein Team aus ExpertInnen der MedUni Wien, der Universität für Bodenkultur (BOKU) und der Vetmeduni Vienna den Folgen der gegenwärtigen Krise auf Firmenebene. Beate Pinior bringt hier ihr Fachwissen über die Lebensmittelversorgungskette und die wirtschaftlichen Aspekte tierischer Lebensmittel ein. Dabei werden heimische Firmen anhand eines komplexen Modells nach ihrer systemischen Wichtigkeit für die Gesamtwirtschaft und insbesondere für die Grundversorgung gereiht. Diese Reihung ist wesentlich, um die Planung für den Neustart der Wirtschaft in Österreich nach der Krise quantitativ und faktenbasiert zu unterstützen.

 

Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie: Expertise international gefragt

Derzeit werden von der Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie unter anderem in zwei COST-Aktionen („SOUND Control“ und „Harmony“) statistische Methoden entwickelt, um die Freiheit eines Landes von bestimmten Infektionskrankheiten akkurat bewerten und so die Situation zwischen Ländern vergleichen zu können. Auch in Gremien wie etwa der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bringen die WissenschafterInnen der Abteilung ihr Fachwissen ein.
Ein weiterer veterinärmedizinischer Fokus liegt auf der Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der tierärztlichen Therapie – egal ob bei Rind, Schwein, Hund, Katze oder Pferd. Im Rahmen der interdisziplinären Projekte „Advancement of Dairying in Austria“ (ADDA) und „Digitalisation, Data integration, Detection and Decision support in Dairying“ (D4Dairy) beschäftigen sich die ExpertInnen beispielsweise mit dem Antibiotikaeinsatz in Milchkuhbetrieben. Diese Forschung ist für VeterinärmedizinerInnen, das Tierwohl sowie die öffentliche Gesundheit von enormer Relevanz.

Mehr über die Arbeit der Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie im One-Health-Kontext sowie die Projekte ADDA und D4Dairy gibt es in der nächsten Ausgabe des VETMED Magazins zu lesen!

Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie auf Twitter

 

Text: Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie
Redaktionelle Aufbereitung: Alexandra Eder

 

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