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Universität

Assistenzprofessur Tierschutzwissenschaften bei Nutztieren: Good Vibes im Stall

Borbala Foris, neue Assistenzprofessorin für Tierschutzwissenschaften bei Nutztieren, forscht am Kreuzungspunkt von Tierwohl, (teil-)automatisierter Verhaltensanalyse und Precision Livestock Farming. Sie begreift den Stall als soziales Netzwerk und möchte unter anderem mit einer smarten Bürste positives Verhalten als Ausdruck von Wohlbefinden in den Blick nehmen.

Borbala Foris ist neue Assistenzprofessorin für Tierschutzwissenschaften bei Nutztieren. Foto: Michael Bernkopf/Vetmeduni

Tierwohl-Monitoring: Der Stall als soziales Netzwerk

Wenn Rinder in einer Herde nicht miteinander können, wird das offenkundig. Da wird gerempelt, geschubst und gestoßen. Wenn die Milchleistung zurückgeht, läuten im Betrieb immer die Alarmglocken. Aber wie zeigt sich gute Stimmung und Wohlbefinden im Stall? Borbala Foris, seit September 2023 neue Assistenzprofessorin für Tierschutzwissenschaften bei Nutztieren, setzt beim Tierwohl-Monitoring auf die (teil-)automatisierte Beobachtung und Datenauswertung von Individuum und Bestand mittels Precision Livestock Farming. Sie will wissen, wie sich ein glückliches Rind in den nach Produktionskriterien ausgerichteten Herden verhält und wie das am besten beobachtet und gemessen werden kann. Aus dem Verhalten von Einzeltieren will sie validierte Indikatoren und Normalwerte bestimmen und mit der Auswertung von Bestandsdaten Warnzeichen sichtbar machen, sodass Tierhalter:innen früh eingreifen können. Dazu nimmt sie neben essenziellen auch nichtlebensnotwendige Verhaltensweisen in den Blick. Zum Überleben müssen Kühe liegen, stehen, fressen und trinken. Als Indikator für schiere Lebensfreude hat Borbala Foris zum Beispiel die Nutzung von Bürsten im Verdacht. Eine smarte Bürste im Stall kann erkennen, welches Tier sie wie lange nutzt.

Austausch auf Augenhöhe

Erstmals kam die 35-jährige Ungarin 2010 mit den Welfare Quality® Assessment Protocols in Kontakt, die ein Jahr davor von einem Zusammenschluss europäischer Universitäten und Forschenden herausgegeben wurden. Sie war sofort begeistert von der Möglichkeit, „mit einer Methode nicht nur Einzeltiere zu behandeln, sondern präventiv und auf Betriebsebene viele Tiere gleichzeitig, wenn ich neue Methoden fürs Monitoring entwickle“. Während ihres Studiums an der Veterinärmedizinischen Universität in Budapest (Ungarn) absolvierte sie Praktika und besuchte für die Diplomarbeit Betriebe unterschiedlicher Größe in Ungarn und Deutschland. Dort sammelte sie praxisrelevante Informationen zur Verhaltensbeobachtung und Analyse. Dabei kam ihr die Rolle als Forscherin, im Vergleich zu einer Auditorin, sehr gelegen: „Ich habe immer gesagt, dass die Protokolle nicht endgültig sind und ich komme, um mir die Tiere im Betrieb anzusehen und die Handbücher zu verbessern. Es gab Austausch auf Augenhöhe darüber, was ich messe und warum, die Bauern und Bäuerinnen haben mir Feedback gegeben, was sie beobachten und ob meine Messungen aus ihrer Sicht sinnvoll sind. Das ist ganz wichtig, weil wir etwas entwickeln wollen, das ihnen in der Praxis weiterhilft.“

Big Data im Stall

2015 vertiefte sie die Bewertung der Variationen von individuellem und Gruppenverhalten in Milchkühen – von der Persönlichkeit hin zum sozialen Netzwerk Stall. In ihrem PhD am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie Dummerstorf in Kooperation mit der Universität Rostock erweiterte sie ihre Methoden um Precision Livestock Farming (PLF). Die Bioinformatikerin Nina Melzer weihte sie in technische Möglichkeiten zwischen Tieren und Daten und die passende Programmierung ein. Niemand kann 24 Stunden seine Kühe einzeln im Auge behalten oder Videos auswerten und gleichzeitig Unterschiede der Einzeltiere im Vergleich zum großen Bestand erkennen. „Wenn Precision Livestock Farming gut gemacht ist, können die Landwirt:innen in der Analyse sehen, wenn etwas schiefläuft. Kameras im Stall zu installieren und ein Software-Abo für die Analysen abzuschließen bedeutet keine riesigen Investitionen.“ Sie geht davon aus, dass PLF eine ähnlich rasante Entwicklung erleben wird wie die Nutzung von Smartphones und Netflix-Abos. Über diesen Umweg könnte das Tierwohl auch gegenüber Konsument:innen belegt und der Arbeitsplatz Milchwirtschaft bei Betriebsübergabe oder Personalsuche attraktiver werden.

Interdisziplinäre Brille auf Tierwohl

Nach vier Jahren als Postdoc am interdisziplinären Animal Welfare Programme der Faculty of Land and Food Systems der University of British Columbia in Vancouver (Kanada), wo sie lernte, „auf Tierhaltung nicht nur durch die Veterinärinnenbrille zu sehen“, möchte sie am Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung die Forschung am Kreuzungspunkt von positivem Sozialverhalten und automatisierten Messmethoden vorantreiben und so Verhaltensänderungen als Indikatoren nutzbar machen. Eine Ausweitung von Foris‘ Fokus auf Schweinehaltung würde sich angesichts ihrer Expertise ebenfalls anbieten. Schließlich sollen sich nicht nur Rinder sauwohl fühlen.

Text: Astrid Kuffner

Der Beitrag erschien in VETMED 02/2023