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Universität

Reduzieren auf das Maximum des Notwendigen

Martina Mosing, neue Professorin für Anästhesie und Analgesie, über die Verantwortung zwischen Leben und Tod, Humor, Wachmacher, ihre Pläne für die Ausbildung in Anästhesie und perioperativer Analgesie und welches der Big Five sie noch nicht anästhesiert hat.

Martina Mosing ist neue Professorin für Anästhesie und Analgesie. Foto: Michael Bernkopf/Vetmeduni

Martina Mosing, Diplomate of the European College of Veterinary Anaesthesia and Analgesia, wurde für ihre Lehre mit dem renommierten Sir Alastair Pilkington Award ausgezeichnet. Am meisten gefreut hat sie sich aber über den „Funniest Clinician 2019“, den ihr die Graduierten an der Murdoch University in Perth verliehen haben. Aus mehreren Gründen: Der Titel wurde extra für sie geschaffen und zusätzlich zu ihrer persönlichen Auszeichnung hat das ganze Anästhesieteam mehrere Auszeichnungen bekommen. Was ist also ihr Geheimrezept für die Lehre? „Ich vermittle einen verantwortungsvollen Job, versuche aber gleichzeitig, diese Spezialisierung in der Tiermedizin sehr praktisch und nicht bierernst zu vermitteln. Wenn einem die ganze Zeit die Herrschaft zwischen Leben und Tod vor Augen geführt wird, während man das Tier auf dem Tisch hat, stresst das unnötig.“

Die Studierenden der Vetmeduni dürfen sich auch aus anderen Gründen auf die neue Professorin für Anästhesie und Analgesie freuen. Seitdem sie Anästhesistin ist, hat sie sich für die Weiterentwicklung von Lehrkonzepten engagiert – wortwörtlich von der ersten Wiener Anästhesie-CD-ROM über ein interaktives Medikamententool bis zu Virtual Reality und dem praktischen Lernen an Simulationsmodellen. Sie hat genau beobachtet, was funktioniert und was nicht. Martina Mosing hat ihr Studium in Wien absolviert und elf Jahre als Assistentin an der Vetmeduni gearbeitet. Nun ist sie nach Stationen in Liverpool, Zürich und Perth (Western Australia) nach Wien zurückgekehrt. Hier nutzt sie jetzt ihre Entscheidungskompetenz und den Gestaltungsspielraum, um die Lehre für den Fachbereich in die richtige Richtung anzuschieben.

Schlaf, Tierlein, schlaf

Die Anästhesie hält Martina Mosing für eine tolle Spezialisierung, „weil wir mit allen Tierarten arbeiten, wie sonst nur wenige Fächer. Das macht für mich einen großen Reiz aus. Ich bin noch dabei, weil es so abwechslungsreich ist“. Kleintiere, Pferde (echte Risikopatienten wegen Größe und Lungenfunktion im Liegen), Exoten, Wildtiere, Zootiere, landwirtschaftliche Nutztiere – von den Big Five in Afrika fehlt ihr nur noch der Büffel. Ein Nashorn hingegen wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden. Man erahnt, dass die Tierärztin hart im Nehmen ist, wenn sie diese Episode ganz trocken erzählt. Als Oberärztin an der Vetsuisse in Zürich forschte sie an einem mobilen Tomografiegurt, mit dem man die Lungenfunktion auch außerhalb eines Operationssaals überwachen kann. Das Gerät sollte in Südafrika im Gelände eingesetzt werden. Als Pilotanwendung wurde es mit einem Nashorn im nahen Budapester Zoo getestet. Es sollte ein Eingriff im Stehen durchgeführt werden. Doch als der Gurt saß, fiel das tonnenschwere Tier um und klemmte das Bein seiner Anästhesistin ein. Alle Knochen unterm Knie waren gebrochen. Drei Wochen später flog Martina Mosing dennoch nach Südafrika und turnte auf Krücken um die Vierbeiner herum. Es fielen auch dort sämtliche Nashörner um, aber sie hielt genug Abstand. Und das Bein ist heute wieder ganz heil.

Vater und Mutter des Erfolgs

Im Idealfall werden Anästhesist:innen vor und nach einer Operation eingebunden. Die chirurgische und die präanästhetische Voruntersuchung gehen Hand in Hand. Der Fokus bei Anästhesie und Schmerzlinderung liegt dabei auf dem Herz-Lungen-System und möglichen kardiorespiratorischen Risiken: „Hier greifen wir mit unseren Medikamenten ein. Das System muss stabil genug sein, um die reversible Vergiftung – denn das ist es de facto – wegzustecken.“ Auch die Aufwachphase und die postoperative Schmerzlinderung fallen in ihren Bereich, sowie die Analgesie bei anderen Behandlungen. So eine Voruntersuchung ist bei Wildtieren natürlich nicht möglich und für den Startschuss verlässt sich Mosing gerne auf die Wiener Kolleg:innen vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) mit ihrem Betäubungsgewehr. Hunde und Katzen sind Routinepatienten mit gut etablierten „Kochrezepten“ und „relativ einfach zu kontrollieren“, solange sie nicht schwer krank sind. Sobald es ins Extreme geht, also ganz klein und ab 500 kg, sind Patienten meist schwerer zu kontrollieren. Natürlich entwickelt sie in der Forschung auch entsprechende Medikamentenmixe für Spezialfälle, die sich dann etablieren können.

Die Aufgabe per se balanciert also immer auf einem schmalen Grat. Wenn alles gut geht, steht meist der/die Chirurg:in auf dem Schild. Aber wenn es daneben geht, hinterfragt sich immer der Anästhesist. Da steht Martina Mosing drüber, weiß aber das kollegiale Verhältnis und die gute Basis für Abstimmungen und Falldiskussionen mit allen Abteilungen an der Vetmeduni zu schätzen.

Von der Basis zum Wachstum

Zurück nach Wien lockte sie letztlich Corona – neben der passgenauen Ausschreibung: „Wir waren in Western Australia sehr eingesperrt. Wie in einem goldenen Käfig, obwohl die meisten Fälle in Melbourne jenseits einer großen Wüste aufgetreten sind.“ Martina Mosing hatte gemeinsam mit Ulrike Auer die Abteilung für Anästhesiologie und perioperative Intensivmedizin an der Vetmeduni aufgebaut und jetzt viele Pläne dafür, „mein Baby wieder zu adoptieren und beim Großwerden zu helfen“. Sie möchte Wien weiter und wieder zu einem Standort machen, wo Lunge, Lungenphysiologie, Gasaustausch und Pathophysiologie erforscht werden und laufende Projekte zu Schmerz und Schmerzerkennung unterstützen.

Ein weiteres großes Anliegen ist ihr die weitere Professionalisierung von ethischen Erwägungen im klinischen Bereich der Veterinärmedizin: „Wir sind alle Naturwissenschafter:innen und daher ist für uns dieses Thema eher abstrakt. Wir haben nun eine eigene Assistenzprofessur ausgeschrieben. Es geht mir darum, ein Bewusstsein für gute Entscheidungen zu etablieren, aus allen fachlichen Blickwinkeln, ob eine Operation oder Behandlung angezeigt ist oder nicht.“

First Day Skills & Erfahrungen sammeln

Bei ihrem Leib- und Magenthema Lehre will sie das Self-Directed Learning stärken. Neben dem bestehenden VetSim-Labor auch mit der „Pebble Pad Learning Journey Platform“, auf der interaktiv, online und in Eigenregie Inhalte von den Studierenden vorab erarbeitet werden können. Erst dann beginnt der intensive Austausch mit Lehrenden, etwa für interaktive Falldiskussionen und die Arbeit mit dem Tier selbst: „Ich will, dass die First Day Skills für die Arbeit in der Klinik sitzen und selbstständig gut vorbereitet werden können. Katheter setzen, Anästhesiegerät zusammenbauen und checken sowie Hund und Katze intubieren und ventilieren unter Anästhesie kann virtuell oder am Modell ganz oft geübt werden, bevor es am echten Tier zur Anwendung kommt.“ Diese Fähigkeiten müssen ein Reflex werden, der zu jeder Tages- und Nachtzeit abgerufen werden kann. Denn um vier Uhr morgens unter Stress ist niemand in Bestform. Ein Fehler von Anästhesist:innen ist direkt fatal, also muss man laufend üben: „Wir müssen den Studierenden beibringen, die einzelnen Arbeitsschritte für Routinepatienten sicher und in der richtigen Reihenfolge – wie automatisiert – durchzuführen. Sie müssen erkennen, wann es aus dem Ruder läuft und wie sie gängige Komplikationen anhand sicherer Protokolle beheben.“

Ihre Devise ist: „Reduzieren auf das Maximum des Notwendigen.“ Den Rest lernen die Absolvent:innen in der Praxis und über die Zeit. Kommt Zeit, kommt Rat – so mussten Martina Mosing und ihre Partnerin es auch bei der Übersiedlung anlegen. Vier Monate lebten sie aus dem Koffer, weil der Container aus Australien nicht ankam. Die neue Professorin und ihre Pläne waren bedeutend schneller.
 

Der Beitrag erschien in VETMED 01/2023

alle Fotos: Michael Bernkopf/Vetmeduni