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Techniken der assistierten Reproduktion: Nachwuchs mit Unterstützung

Assistierte Reproduktion wird bei Nutztieren, aber auch zunehmend bei Individualtieren, also Tieren, die als Individuum eine Bedeutung für ihre Besitzer:innen haben, eingesetzt. Auch für die Zucht von Zoo- und Wildtieren ist sie von großem Interesse. Die Verfahren bieten die Möglichkeit, vermehrt Nachkommen von Tieren mit überdurchschnittlichem Zuchtwert zu erhalten, das genetische Potenzial solcher Tiere zu konservieren oder aber auch Nachwuchs von Tieren mit Fruchtbarkeitsstörungen zu erzeugen.

Nicht nur beim Menschen, auch beim Tier gewinnen medizinische Methoden bei der Zeugung von gesundem Nachwuchs an Bedeutung. Die Plattform Besamung und Embryotransfer an der Vetmeduni ist auf diese Techniken der assistierten Reproduktion spezialisiert und betreut pro Jahr etwa 900 Tierpatienten.

Mit künstlicher Besamung zum Jungtier

Die instrumentelle – auch „künstliche“ – Besamung genannt, ersetzt bei vielen Nutztierarten, aber auch beim Pferd oder Hund den natürlichen Deckakt. „Dazu wird das Ejakulat meist mittels künstlicher Scheide gewonnen und in den Genitaltrakt des weiblichen Tiers übertragen, ohne dass die beiden Partner in Körperkontakt treten“, erklärt Christine Aurich, Tiermedizinerin und Reproduktionsexpertin. Aurich leitet die Plattform Besamung und Embryotransfer und hat täglich mit Tierpatienten zu tun, bei denen die Reproduktion tiermedizinisch unterstützt wird. Neben hygienischen Vorteilen, die in der Vermeidung der Übertragung von Deckinfektionen (= beim Deckakt übertragbare Infektionskrankheiten, die die Fruchtbarkeit oder die Gesundheit des Tiers beeinträchtigen) liegen, führt die Technik der künstlichen Besamung zu einer besseren Ausnutzung gefragter oder züchterisch wertvoller Vatertiere. „So können je nach Spezies aus einem Ejakulat mehrere Besamungsportionen, das heißt zur erfolgreichen Belegung erforderliche Spermienmengen, gewonnen werden“, so Aurich. Die Anzahl der Besamungsportionen variiert dabei zwischen einigen wenigen beim Hund und mehreren Hundert zum Beispiel beim Rind.

Von der Eizelle bis zum Jungtier bei Pferden, Hunden und Katzen

Entfernungen und Zeit überwinden

Unter Kryokonservierung, von griechisch kryos, „Kälte“, wird das Tiefgefrieren von Körperzellen unter Zugabe von Konservierungsmedien verstanden. Die Konservierung machen sich auch Tierärzt:innen in der Reproduktionsmedizin zu Nutze. „Als kurzzeitkonservierter, das heißt gekühlter Samen ist ein aufbereitetes Ejakulat für mehrere Tage haltbar“, erklärt Aurich. Beim Schwein bedeutet das 15 °C, bei anderen Spezies 5 °C. Durch entsprechende Zugabe von Gefrierschutzmitteln und Lagerung in flüssigem Stickstoff bei –196 °C kann die Befruchtungsfähigkeit über Jahrzehnte erhalten werden.

Der Grund dafür ist, dass bei dieser niedrigen Temperatur fast alle Lebensprozesse gestoppt werden, die Zellen bleiben unverändert. Wird die Temperatur wieder erhöht, beginnen die Lebensprozesse erneut und die Zellen können verwendet werden. Die Lagerung in flüssigem Stickstoff ermöglicht darüber hinaus einen energieunabhängigen Samentransport in eigens konstruierten Transportbehältnissen. Dadurch wird laut Aurich ein weltweiter Spermahandel ermöglicht, der bei der Zucht von Tierarten wie Rindern, kleinen Wiederkäuern, Pferden und Hunden große Bedeutung erlangt hat. „Über die Anlage von Tiefgefriersamenreserven können wertvolle Vatertiere züchterisch – auch über ihren Tod hinaus –Verwendung finden“, ergänzt Aurich. Samenbanken mit tiefgefrorenem Sperma spielen zudem eine wichtige Rolle zur Erhaltung von Rassen oder Spezies, die in ihrem Bestand gefährdet sind.

Leihmutterschaft im Tierreich

Eine weitere assistierte Reproduktionstechnik ist der Embryotransfer, der vor allem das Potenzial weiblicher Tiere in den Fokus rückt. „Dabei können die noch nicht implantierten Embryonen aus der Gebärmutter eines Spendertiers gewonnen und in den Uterus von zyklussynchronen Empfängertieren übertragen werden“, erläutert Reproduktionsmedizinerin Aurich. Zyklussynchron bedeutet in diesem Fall, dass weibliche Tiere – etwa durch die Gabe von Hormonen – zeitgleich in exakt derselben Zyklusphase sind. Der Embryotransfer wird in der Tierzucht, ähnlich wie die instrumentelle Besamung, als Standardverfahren angewendet, um das genetische Potenzial weiblicher Tiere besser nutzen zu können. Da das Spendertier die Embryonen nicht bis zur Geburt austrägt, kann die Anzahl der Nachkommen von einem weiblichen Tier pro Jahr über das normale Maß hinaus gesteigert werden. Außerdem können Sportstuten parallel zum Embryotransfer trainiert werden und an Turnieren teilnehmen. Sonst würden sie nach ihrer Karriere züchterisch genutzt und damit meist in einem Alter, in dem ihre Fruchtbarkeit bereits reduziert ist. Für unterschiedliche Spezies sind die Reproduktionstechniken jedoch unterschiedlich anwendbar. Aurich betont: „Während bei Rind und Pferd die Embryonengewinnung nicht-invasiv, also ohne negative Einflüsse für die Allgemeingesundheit und spätere Fruchtbarkeit durchgeführt werden kann, ist bei den kleinen Wiederkäuern und beim Schwein, aber auch beim Hund die Gewinnung aufwändiger und erfordert die Narkose der Spendertiere.“

Glossar: Assistierte Reproduktion

Als assistierte Reproduktion wird in der Tiermedizin die Herbeiführung einer Trächtigkeit mit Hilfe medizinischer Unterstützung bezeichnet.

Durch Entnahme von Biopsien (Gewebsproben) aus den Embryonen kann eine Genotypisierung, zum Beispiel zur Feststellung des Geschlechts, der Farbe oder genetischer Defekte des potenziellen Nachkommen, erfolgen.

Unter in vitro (= lateinisch vitrum: „Glas“) werden Reaktionen bzw. organische Vorgänge verstanden, die außerhalb eines lebenden Organismus unter Laborbedingungen stattfinden. Im Gegensatz dazu charakterisiert in vivo (= lateinisch vivum: „das Lebendige“) Reaktionen im lebenden Organismus unter physiologischen Bedingungen.

Die Palpation (= lateinisch palpare: „streicheln“) benennt die manuelle Untersuchung eines Tiers durch Ertasten von Körperstrukturen mit einem oder mehreren Fingern sowie der Handfläche. Sie gehört zu den ältesten Diagnostikverfahren.

 

Klonen bezeichnet ein gentechnisches Verfahren, bei dem künstlich Lebewesen mit identischem Erbgut, sogenannte Klone, erzeugt werden.

Als Morula (= lateinisch morum: „Maulbeere“) wird das vielzellige Stadium der frühen Embryonalentwicklung bezeichnet. Auf sie folgt das Stadium der Blastozyste (= altgriechisch blástē: „Spross“ und kýstis: „Blase“), auch Keimanlage genannt, das durch die Ausbildung einer flüssigkeitsgefüllten Höhle gekennzeichnet ist.

Als Organogenese wird die Bildung der Organe aus verschiedenen Keimblättern während der Embryonalentwicklung bezeichnet.

Bei der Superfekundation (= lateinisch fecundare: „befruchten“) werden Eizellen derselben Ovulationsperiode mit Spermien aus verschiedenen Begattungsakten befruchtet. So kommt es innerhalb eines Wurfes zu Jungtieren verschiedener Väter.

Arten des Embryotransfers: In vivo, in vitro und ICSI

Generell gibt es unterschiedliche Arten des Embryotransfers, die wiederum von der jeweiligen Spezies abhängen. Bei der sogenannten In-vivo-Produktion erfolgt die Gewinnung von Embryonen (späten Morulae oder Blastozysten) aus dem Uterus des Spendertiers. „Andererseits werden bei der In-vitro-Produktion Eizellen vom Spendertier gewonnen, gereift und entweder in vitro mit entsprechend vorbereiteten Spermien befruchtet. Oder die Befruchtung erfolgt durch Injektion von Spermien direkt in die gereiften Eizellen“, so Aurich. Dies wird Intracytoplasmatische Spermieninjektion, kurz ICSI, genannt und kommt bei Pferden zum Einsatz. Im Anschluss können diese Embryonen entweder direkt auf zyklussynchrone Empfängertiere übertragen, im gekühlten Zustand zum Standort der Empfängertiere transportiert und dort übertragen oder durch Tiefgefrierung in flüssigem Stickstoff für unbestimmte Zeit konserviert werden.

Aus der Tiermedizin sind assistierte Reproduktionstechniken inzwischen kaum mehr wegzudenken, resümiert Christine Aurich. Erfolgreich eingesetzt, ermöglichen sie einerseits ein höheres Maß an Hygiene und Sicherheit, etwa beim Deckakt. Andererseits helfen sie, je nach Technik und Fokus, das genetische Potenzial weiblicher, männlicher oder überdurchschnittlich wertvoller Tiere auszuschöpfen.

Zur Person

Christine Aurich hat in Hannover Tiermedizin studiert und dort eine Dissertation zur In-vitro-Produktion von Rinderembryonen angefertigt. Nach ihrer Habilitation 1997 kam sie an die Vetmeduni in Wien, wo sie die Plattform Besamung und Embryotransfer leitet. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die assistierte Reproduktion bei Haustieren und die Reproduktionsmedizin beim Pferd. Sie ist Diplomate des European College of Animal Reproduction und Vorstandsmitglied verschiedener internationaler wissenschaftlicher Fachgesellschaften.

Text: Stephanie Scholz
Grafiken: Matthias Moser

Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 01/2022